Nicht selten sind Psychotherapeuten under cover esoterisch unterwegs. Manche auch ganz offen,
die haben dann Praxen, die komplett in Violett und Gold gehalten sind, um die oberen Chakren zu stärken (ob die des Patienten oder auch die eigenen, das ist dann in diesem Falle schwer trennbar). Oft arbeiten sie solide in ihrer erlernten Methode weiter, unterfüttern diese aber im Lauf der Zeit mit einer zusätzlichen alternativen, spirituellen Haltung.
die haben dann Praxen, die komplett in Violett und Gold gehalten sind, um die oberen Chakren zu stärken (ob die des Patienten oder auch die eigenen, das ist dann in diesem Falle schwer trennbar). Oft arbeiten sie solide in ihrer erlernten Methode weiter, unterfüttern diese aber im Lauf der Zeit mit einer zusätzlichen alternativen, spirituellen Haltung.
Es gibt aber auch Patienten, die esoterisch unterwegs sind. Sie begeben sich entweder bei offiziellen Vollesoterikern in Behandlung oder sie gehen, damit das Unterfangen von der Krankenkasse bezahlt wird, zu Normaltherapeuten und hoffen, auf ihrer Odyssee durch´s Therapeutenreich auf einen Behandler zu stoßen, der weiß, was sie meinen, wenn von Schwingungen, Scheitelchakra, Ätherkörper, drittem Auge oder Resonanzgesetz die Rede ist.
Irina wirkte bereits am Telefon ein bisschen durchgeknattert und berichtete, sie habe meine Adresse von einem anderen Therapeuten bekommen, bei dem sei sie vorstellig gewesen und der habe sie zu mir verwiesen, da ich seiner Vermutung nach zu ihr „passen würde“. Naja, diese Verkupplungsaktionen fußen nicht immer auf altruistischen oder romantischen Heiratsvermittler-phantasien, im Falle von Irina war es so, dass der Kollege aus Altersgründen bald seine Praxis aufgeben würde und außerdem, vermute ich, war ihm Irinas Temperament für seine alternde Blutdruckregulation etwas zu anstrengend erschienen.
Ich hatte Irina, die am Telefon sehr positiv und erwartungsvoll auf mich gewirkt hatte, meine Adresse genannt und ihr kurz beschrieben, wie sie am leichtesten zu mir finde. Das half aber dann doch nicht, sie kam fast eine Viertelstunde zu spät. Sie kam abgehetzt und ungläubig, ob ich wirklich Frau Novotny sei, und diese Hausnummer… die stimme doch nicht, sie habe sich was anderes aufgeschrieben. Sie sei zu spät, denn sie sei plötzlich vor einer anderen Praxis gestanden, aber dann habe sie gemerkt, dass sie mit dem Fahrrad zu weit gefahren war. Sie trug diese Farben, die zwischen Viola, Violett, Altrosa und Aubergine hin- und herwackelten, war ein bisschen flatterig, irgendwie anrührend offen und mitteilsam wie ein Kind, das sofort Vertrauen fasst und dabei gar nicht genau hinschaut, wer es eigentlich ist, der ihr da ein Schokoladeneis hinstreckt. Irina berichtete in einem ziemlichen Tempo, von ihrer verstorbenen Mutter, ihrem verschollenen Künstlervater, ihrem Freund und dessen Vorgängern, zu denen sie ausnahmslos ein freundschaftliches Verhältnis weiterpflege; sie hatte studiert, aber „nur um mich zu parken“, ihr Herz schlug für anderes, sie denke an den Aufbau eines eigenen Yoga- oder Meditationsinstitutes, den jetzigen prosaischen Job in einer privaten Nachhilfeschule verrichte sie nur für das Materielle und eine gewisse „Lebensbasis“. Sie litt unter Depressionen, die sich in der Nacht zu ihr schlichen wie ein ängstliches Kind, das sich in die Ritze zwischen den beiden Matratzen seiner Eltern flüchtet. Irina ließ in einem atemberaubenden Schnelldurchlauf Begriffe fallen wie Bestimmung, Richtung, Eingebung, Instinkt, Ruf, Berufung, Sinngebung, Kosmos und Seele. Ich versuchte zu folgen und wir redeten ein bisschen wachstumsorientiert vor uns hin; ich war, so schätze ich, nach spätestens zehn Minuten selber derartig von der Rolle, dass ich erst nach und nach merkte, dass Irina zwar offen redete, sich aber anscheinend dabei immer weniger wohlfühlte. Sie begann, sich umzublicken. Obwohl auch ich schöne pastellige Farben in meinem Therapieraum mein eigen nenne, schien ihr zunehmend etwas zu fehlen. Sie prüfte mich, fragte, ob ich den empfehlenden Psychologen denn gut kenne … wie nochmal meine Therapiemethode heiße … (ich glaube, damit bluffte sie, sie wusste es genau, aber sie wollte mich zum Reden bringen, um ihren zunehmenden Zweifeln an meiner esoterischen Gesamtausstattung auf den Grund zu gehen). Ich schwankte zwischen Faszination für Irina, Mitleid für das, was sie in ihrem jungen Leben schon hatte ertragen müssen, und dem sich verdichtenden Gefühl, dass sie eigentlich jemanden ganz anderen suchte.
Manchmal ist es so, dass du als Therapeut nicht direkt fragen musst, deine Zweifel gar nicht aussprechen musst. Es reicht, wenn du dich auf diese innerlich fest konzentrierst … es ist, als würde dein Ungesagtes den Weg zum Patienten finden, lautlos, schwerelos, und er antwortet wie auf eine innere Stimme. Jetzt denkst du bestimmt, ich sei auch völlig durchgeknattert. Aber es wurde mir klar, dass ich, um mich verständlich zu machen, Irina nur mit ihren eigenen Waffen begegnen konnte. Sie suchte dringend Hilfe und ich merkte, wie es ihr immer schwerer fiel, ihre ursprüngliche Entscheidung, dass ich die richtige Helferin für sie sei, durchzuhalten. Das Schokoeis begann ein bisschen zu schmelzen, sah nicht mehr so schön aus, und die Frau, die es ihr reichte, wirkte nach und nach doch etwas komisch auf sie.
Meine ungesagten Fragen waren angekommen, Irina verlor Minute für Minute öfters den Faden, führte Sätze nicht mehr korrekt zu Ende, wirkte unsicher. Dann schaute sie mich an und stellte fest, es sei ja gar nicht mehr viel Zeit. „Wie haben sie unsere erste Begegnung erlebt ?“ Meine Frage schien sie zu überfordern und zu entlasten zugleich. Sie begann nochmal mich auszufragen, ob ich auch spirituelle Angebote machte, also sie fühle sich schon wohl einerseits, aber andererseits … Irina rang nach Worten, vielleicht wollte sie höflich sein. Ich stellte klar, dass ich doch möglicherweise, verglichen mit ihr, ein esoterischer Leichtfuß sei. Die Sympathie zwischen uns verbot es mir, noch mehr Trennendes zu verbalisieren.
Doch dann dachte ich an die Prinzipien des diplomatic stand still. Ja, das war es: in Besinnung auf die unnachahmliche englische Art, die es beiden Seiten erlaubte, das eigene Gesicht zu wahren. Und ich sagte: „Sie sind so bedacht auf Symbolik, auf kosmische Analogien, auf das Prinzip hinter dem scheinbaren Zufall… ist es Ihnen nicht aufgefallen, dass sie zunächst meine Hausnummer falsch notiert, dann weiter gefahren sind als zu mir, vor einem anderen Praxisschild standen und schließlich mit einer um eine Viertelstunde verkürzten Gesprächszeit hier hereingekommen sind, mit der Frage auf den Lippen, ob ich es wirklich sei?“
Irina verstand sofort. Sie verstand so schnell, dass sie sich anschickte, aufzustehen, bevor ich meine Ausführungen ganz beendet hatte. „Unglaublich, ja klar!“ sagte sie, während sie ihren Rucksack an sich nahm und zur Tür steuerte. Sie dankte und ging, für mein Gefühl fast wie auf der Flucht, aber ihr esoterisches Überich verlangte offenbar nach sekundenschneller Umsetzung ihrer Erkenntnis. Eigentlich schade, ich mochte sie. Aber wenn irgendwas nicht geklappt hätte, dann hätte sie es mir später mit wissendem Blick um die Ohren gehauen. Karmamäßig hätte mich das vermutlich auf mehrere Leben als Ameise oder zumindest als schließlich geköpfte Kupplerin zurückgeworfen.
Nur am Rande sei noch erläutert: mit dem mich empfehlenden Therapeuten hatte ich mal vor vielen Jahren so etwas wie ein vorsichtiges erstes date. Es war in der Mittagspause anberaumt, wir hatten uns in einem Cafè verabredet und, obwohl wir beide da waren, uns doch gegenseitig übersehen; er saß hinter einer Zeitung im hinteren, ich fingertrommelnd im vorderen Teil und wir hatten uns verfehlt. Ich war nicht traurig drum, wahrscheinlich hätten wir nicht zueinander gepasst. Vielleicht ist an dem ganzen Resonanz-, Analog-, Wie-oben-so-unten und Wie-innen-so-außen-Zeug ja doch was dran.
Wiedermal ein Betrag zum nachdenklichen Schmunzeln und hier der Frage : ist da vielleicht doch was dran?
AntwortenLöschenAber, wenn' s nicht funkt, funkt's meist nimmermehr! Und das kann dann wirklich stressig werden.