f Psychogeplauder: Über die Sehnsucht nach einer verkehrten Welt

Montag, 6. Februar 2017

Über die Sehnsucht nach einer verkehrten Welt


Zauberstab,
seit  Monaten  nach  seinem  Einsatz  fiebernd



Natürlich bekommst Du im Laufe der Jahre deines therapeutischen Tuns auch Gelüste. Du stellst dir dieses vor, du malst dir jenes aus. Irgendwann bist du dann soweit, dass du dich danach sehnst,
zaubern zu können. Fasching ist insofern eine immens wichtige Jahreszeit für mich und ich habe lange drauf gewartet!


Ich lebe bereits seit Wochen mehr und mehr in meinen Hexeneinmaleins-Phantasien und studiere abwegige Bücher, die ich sicherheitshalber mit dem Rücken nach hinten ins Regal stelle, für den Fall einer unangemeldeten Begehung durch das Gesundheitsamt. Laut dieser jahrhundertealten, dicken Wälzer ist das der Beginn der sogenannten Jeannie-Phase der hexentherapeutischen Professionalisierung, der Phase III von IV. Stehe ich diese Phase durch, dann bin ich irgendwann in der Olymp-Phase. Gebe ich stattdessen beim Üben und Nicken zu rasch auf, lande ich im burn-out, der ja nach seriösen Aussagen der Forschung etwa 25 % der Therapeuten befällt. Da nur wenige Therapeuten des Zauberns mächtig werden, hängen also etwa 75 % zeitlebens vor oder in der Jeannie-Phase rum und hoffen, dass die Rente kommt, bevor sie burnen.






Als ich anfing, hatte ich zunächst ein hartnäckiges Halswirbelsäulensyndrom, weil ich das Nicken mit den falschen Muskeln bewerkstelligte und prompt Muskelkater kriegte. Aber dank einer einfühlsamen Physiotherapeutin und entsprechender frühmorgendlicher Gymnastik kam ich über diesen Anfängerfehler ohne anhaltende Schäden hinweg und lernte, aus dem Rücken heraus zu nicken und mir die Kraft aus den langen Rückenstreckern (ja, genau, es geht um´s Rückgrat) zu holen anstatt aus dem Kopf. Ab da wurde vieles besser. 




Zu Beginn braucht man ja noch die Arme dazu, die man vor dem Körper verschränkt und waagrecht halten muss, wobei dies die Patienten in der Regel irritiert; später schafft man es durch ein fast unmerkliches Nicken, wozu ein Wochenendkurs in MNT (Miniaturnicken für Therapeuten) nötig war; meinem Freund hatte ich damals noch gesagt, ich würde kurzfristig an einem Seminar für Familienaufstellung teilnehmen, was zwar eine Notlüge war, aber im Grunde ja auch wieder stimmte, denn seither gehörte die bezaubernde Jeannie zur Familie. Ich zog mir nach Feierabend alle alten Episoden der rosa gewandeten Blondine rein und übte vorm Bildschirm. Eines Tages (aber denk´ jetzt nicht, das ging von heute auf morgen!) konnte ich dadurch sogar den Verlauf der Handlung im Fernsehen verändern, und es war diese Entdeckung, die zu meinem persönlichen Erweckungserlebnis wurde, mich nicht mehr locker lassen ließ und meine Disziplin unerschütterlich machte. 






Dann wagte ich mich an die Wirklichkeit und schuf Größeres: Mein Therapieraum verwandelte sich auf eine eintrainierte Nicksequenz hin in eine riesige Lounge, in der bei gedimmter Beleuchtung leise Barmusik zu hören war und seitlich ein orientalisches Büffet mit kleinen oktaederförmigen Lammfrikadellen wartete. Uhren gingen anders. Manche Sitzungen waren nach einer Minute schon wieder vorbei, es entstand ein kosmischer Zeitrest, den der Patient für einen Gang in die nächste Parkanlage und ich für den Kauf eines neuen Zauberstabs mit eingebautem Radioaktivitätsmesser nutzen konnte. Einmal schaffte es mein Geigerzähler auf sage und schreibe 95 Megafetz, das ist kurz vorm Abheben auf einem Besen! Sitzungen wurden zu Schwebungen. Die Abrechnungsbescheide der kassenärztlichen Vereinigung kamen auf raschelndem Seidenpapier und wurden von einem Boten gebracht, der sich jedesmal erneut als Keanu Reeves herausstellte und durch den Kamin ins Zimmer rauschte. Wir plauderten dann kurz über die aktuellen tops und flops an der amerikanische Westküste.




Das alles mag der Grund sein, warum ich in letzter Zeit die Rente gar nicht mehr ersehne. Gottlob ist ja die Altersgrenze für Therapeuten aufgehoben und wir können praktizieren, solange wir möchten. Ich fühle mich ausgesprochen wohl so, wie es ist. Bei Anstrengung verschwinde ich in meiner Flasche. Und beim nächsten kosmischen Zeitrest fange ich mein Berufsleben einfach nochmal von vorne an und werde Therapeut im Netz. Meine MNT Kurse sind dann online verfügbar und kosten kein Geld. Aber Achtung, aufgepasst: mit den gängigen Browsern ist meine website nicht erreichbar. Tipp: ein rosa Desktop-Hintergrund schafft schon mal basale technische Voraussetzungen. Und: man braucht Mut zur Normvariante!




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