... einfach perfekt!
Ein wesentliches didaktisches Element der psychotherapeutischen Ausbildung, aber auch der professionellen Fortbildung bereits approbierter Psychotherapeuten und deren kontinuierlicher Überlebenspflege, ist die Supervision.
Böse Zungen aus autoritätskritischen Alt-68er-Zeiten behaupten, das Wort "Supervision" müsse eigentlich auseinandergeschrieben und in ein Adjektiv und ein Substantiv zerteilt werden. Das liegt daran, dass ein nicht ganz unerheblicher Teil der Wirkungen, die Supervision beinhaltet, darauf beruht, dass daran Idealisierungsprozesse beteiligt sind. Bei einer Methode, die letztendlich nur mit demjenigen Menschen gedacht und evaluiert werden kann, der sie anwendet, mit seiner Ausstrahlung, subjektiven Einschätzung, Intuition, Erfahrung, Aura und Persönlichkeit, ist man versucht, mit einer Mischung aus Verehrung und adoleszentär anmutender Idolbildung den Supervisor genauestens zu beobachten, die Ohren zu spitzen und, da es bisher dankenswerterweise kein Copyright therapeutischer Stile und Interventionsformen gibt, ihn auch gelegentlich zu imitieren. Ich kenne eine Kollegin, die ihre Ausbildung bei einer Supervisorin gemacht hat, zu der auch ich fast zehn Jahre gegangen war. Das wusste ich allerdings erst mal nicht, sondern stellte nur bei den Fallbesprechungsgruppen fest, dass sie mich an irgend jemanden aus grauer Vorzeit erinnerte. Der Tonfall, die Art, wie sie quasi hörbare Punkte hinter ihre Sätze setzte, was ihr so etwas Apodiktisches verlieh, und sogar ihr Blick dabei, der immer so leicht nach rechts oben ging, als erhalte sie gerade eine Eingebung oder befinde sich in einem bewusstseinsverändernden Channeling -Prozess … endlich dämmerte es mir: sie redete wie meine frühere Supervisorin! Diese war zwar mittlerweile von der Bildfläche verschwunden, nicht nur der Stadt, sondern der gesamten Fortbildungsszene war sie untreu geworden und hatte sich in ein heruntergekommenes Ferienhaus in Griechenland mit 200 Olivenbäumen zurückgezogen; aber durch diese Kollegin war mir, als sei die Supervisorin wieder da, und das war ehrlich gesagt angenehm, es versprühte so eine Art berufsbiographisch gepamperter Grundsicherheit.
Bei aller Lust, sich von den Supervisoren etwas abzukupfern, war für die Vermeidung von Einseitigkeiten gesorgt, denn jeder Supervisor war total unterschiedlich, so dass man letztlich sich eine Art Patchwork-Imitat zulegte mit den Jahren und es nur selten zu langweiligen Einzelparodien kam. Manche Supervisoren redeten pausenlos, dann kursierten Sprüche wie: „Ach du Arme, gehst du etwa zu Herrn X, denk´ immer dran, du darfst ihn auch mal unterbrechen!“ Oder manche waren abstinenter, als man es aushalten konnte, und sagten fast gar nichts. Wenn sie dann allerdings doch mal was sagten, wirkte das wie ein persönliches Pfingsterlebnis. Man vergaß es nie mehr und es saß für immer. Einer sagte mal nach gefühlten sechshundertdreißig Gruppensupervisionsstunden zu mir: Sie machen ja ohnehin, was sie wollen. Oder eine besonders analytisch sozialisierte, abwechselnd schweigende und deutende Supervisorin ließ sich zu einem einzigen Satz bewegen als Kommentar zu meiner mit stolzem Beben vorgelegten schriftlichen Abschlussarbeit: Man merkt, dass sie sich sehr bemüht haben. Da durchläufst du, mittlerweile 30 jährig oder noch viel älter, nochmal schnell die eigene Latenzzeit mit all ihren Fleißstempelchen und Klassenbucheinträgen aus der Schule und das Schlimme ist, du merkst das erst Jahrzehnte später, anlässlich des Verfassens eines banalen Posts für deinen Psychoblog. Am schlimmsten finde ich allerdings, dass viele Supervisoren dauernd aus dem eigenen Nähkästchen plaudern, eine schreckliche Angewohnheit, entschuldigt mit „praktischer konkreter Hilfe und persönlicher Transparenz zum Zwecke der Entidealisierung“, die ich leider übernommen habe, so dass ich mich ständig zügeln muss, meinen Supervisanden (so nennt man das Gegenüber, wenn du selbst die Seiten gewechselt hast) von eigenen Fällen zu erzählen oder wo mich gerade was an wen erinnert und warum.
Insgesamt ist ja Supervision recht unterhaltsam, für beide Beteiligten. Du studierst als Supervisand die Unterschiede der Supervisoren, aber der Supervisor kann auch genüsslich die Unterschiede der Supervisanden studieren. Alles ist also relativ, gottlob. Es gibt Supervisanden, die kommen praktisch immer einen Tic zu spät und murmeln beim Reinkommen vor sich hin, dass wieder mal die Zeit knapp war und dass sie außerdem, so ein Mist, jetzt die falsche Akte eingepackt haben oder dass sie eigentlich noch den Fall vorbereiten wollten, aber gestern Nacht um halb eins dann doch nicht mehr dazu gekommen seien. Aber, ach was soll´s, sie würden jetzt einfach mal erzählen, wie es so laufe beim Patienten. Das schwankt dann bei denen zwischen seelischer Verwirrung und Genialität. Andere sind zuverlässig wie ein Uhrwerk. Sie breiten systematisch mit einen Ordnungsprinzip, das nur sie selber kennen, ihre Mitschriften aus den Therapiestunden vor sich aus und beginnen total durchstrukturiert die Sitzung, indem sie mir zunächst sagen, was sie heute in welcher Reihenfolge besprechen wollen. Es gibt Supervisanden, die haben ein Selbstbewusstsein, dass die Bude wackelt, und wenn sie dich kurz zu Wort kommen lassen, dann sagen sie zwei Sekunden vor Ende deines schüchtern zwischen ihre Ausführungen geklemmten Satzes, nee nee so ist das nicht, das ist anders, und du siehst sie sogar mit dem Zeigefinger wedeln, so dass du dich fühlst, als seist du eine dumme Fünfjährige, der die bereits eingeschulte Cousine mal kurz sagt, wo der Hammer hängt. Andere schreiben alles, was du sagst, wortwörtlich auf, ältere Semester sogar in Steno, die denken nicht, sondern schreiben, weil sie grundsätzlich davon ausgehen, dass deinem Munde nur Perlen asiatischer Weisheit entschlüpfen. Wieder andere nutzen die Sitzungen vor allem, um sich runter zu machen; beliebt ist hier insbesondere das Thema ich glaube, da war ich gar nicht analytisch! oder ich habe es einfach nicht geschafft, das Ausfallhonorar zu verlangen, das ist schlecht, ich weiß! oder auch, als Gipfel dilettantischen Frevels, ehrlich gesagt, habe ich da verhaltenstherapeutisch interveniert und geraten, was der Patient machen soll. Vor echte Herausforderungen wirst du aber gestellt, wenn entweder der Supervisor dir unfreiwillig (freiwillig ist es mir noch nicht untergekommen) seine eigenen Probleme unterbreitet oder wenn der Supervisand dich zum Therapeuten macht, indem er weint und schnieft und private Probleme berichtet oder erzählt, dass er gerade wieder so eine schreckliche Trennung hinter sich hat. Was tun? Man kann ja in so einer Situation nicht stereotyp sagen, „gehen sie mal zu einem Therapeuten“, das wäre irgendwie plump. Außerdem würde man da die nächste Idealisierungsfalle aufstellen, nach dem Motto, alle Schwierigkeiten müssten in einer eigenen Therapie durchgearbeitet werden. Da werden Fleischwolfassoziationen wach.
Trotz all dem finde ich Idealisierungen klasse, es gibt genug Mittelprächtiges in dem Beruf, so dass es nicht schaden kann, an jemandes Lippen zu hängen und sich quasi vom Glanze eines Vorbilds geistig zu ernähren. Am abgefahrensten fand ich während meiner Ausbildung eine schon etwas ältere Analytikerin, die meistens wallende Kleider oder Röcke trug. Sie war spezialisiert auf Traumdeutung. Ihre Supervisionsgruppen waren so begehrt, dass man da nur reinkam, wenn man irgendein Gruppenmitglied bearbeitete, seinen Platz, sollte er jemals frei werden, direkt abzutreten. Sie war legendär. Sie ließ sich Träume berichten, die anwesende angehende Therapeuten von ihren Patienten notiert hatten, verbat sich aber jegliche erläuternde Zusatzinformation, nicht einmal Geschlecht, Diagnose oder Anlass der Therapie durften mitgeteilt werden. Der Traumtext sollte wortwörtlich in einem Rutsch vorgelesen werden und Zwischenfragen mussten wegen ihres Störungspotentials unterbleiben. Sie legte dabei den Kopf in den Nacken – als stünde die Zeit still – und wenn der Referent geendet hatte, nahm sie den Kopf wieder herunter in Blickrichtung der anwesenden blutigen Anfänger und sagte apokalyptische Sätze wie: der Patient ist katholisch, männlich und suizidal. Ich finde, solche Sachen haben das Potential für ein neues Fernsehformat: Dorotheas Deutungen - Deine Träume, Dein Schicksal, bei RTL. Und wer nicht zufrieden ist, kann ja den Sender wechseln, um sich eine Deutungsalternative anzuschauen. Auf ARTE oder so.
Dieser Beitrag ist in immer noch glühender Verehrung Frau Dr. H.S. gewidmet.
Dieser Beitrag ist in immer noch glühender Verehrung Frau Dr. H.S. gewidmet.
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