Erfunden wurde diese Redewendung angeblich von den Amerikanern. Sie mokierten sich damit über japanische Touristen, überwiegend junge Leute aus wohlhabendem Elternhaus, die, selbst eher von zierlicher Statur, pärchenweise mit riesigen Einkaufstüten bepackt durch die Hauptstraßen der hippen Großstädte zogen,
um ihre Trophäen aus dem vielgelobten Land zuhause, zurück in der Heimat, auszupacken. Manche von Ihnen, vor allem die weiblichen, zogen sich dabei Blasen an den Fersen und sogar Kreislaufzusammenbrüche zu und mussten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Von der Wiege der Kultur aus war ja auch der Begriff des Shopping hinaus in die Welt gegangen und in Deutschland, Italien oder Frankreich nennen es sogar die offiziellen Wörterbücher nicht mehr einkaufen, fare spese oder acheter ….. sondern Shopping. Laut Wikipedia bedeutet Shopping die Tätigkeit des Einkaufens sowie das Flanieren durch Ladenstraßen und Einkaufszentren zum Zweck des Erwerbs von Konsumgütern. Der finale Erwerb gehört zum Shoppingerlebnis dazu (mitsamt „über den bloßen Einkaufsakt hinausgehende Erlebnisanreize“), andernfalls handelt es sich um bloßes Window Shopping, eine Variante des Shopping, die bewusst ohne Kaufplanung von statten geht, das ist der Schaufensterbummel, in den 50ern ein Kulturgut an sich, heute weitgehend ausgestorben, da die Läden abends immer länger und bald auch sonntags geöffnet sind und da es den Menschen zunehmend an Phantasie fehlt, sich durch die Auslagen der Geschäfte anregen zu lassen, wenn die Sache nicht optional ruck-zuck eingetütet werden kann. Auch cineastisch ist das Shoppen aufgegriffen worden: eine besonders coole Variante bildet hier der Film "Shopping" ab, den der Regisseur Paul W.S. Anderson 1994 drehte. Er erzählt von einer Gruppe Jugendlicher, die sich mit Joyride (Fahren mit geklauten Autos) und Ram-raiding (Fahren schwerer Fahrzeuge in teure Juweliergeschäfte oder Kaufhäuser, wo sie dann einiges mitgehen lassen) die Zeit vertreiben.
In der psychotherapeutischen Praxis begegnest du dem Shopping vor allem in seinen krankhaften Formen, manchmal offenkundig („Ich brauche schnellstmöglich eine Psychotherapie, ich leide nämlich seit 17 Jahren unter Kaufsucht und jetzt passt unser Auto nicht mehr in die Garage – tun sie was!“), manchmal versteckt, weil es vielen Menschen peinlich ist, was sie so alles anhäufen, und sie es erst nach und nach anhand der sie bedrängenden Folgen offenbaren (Messie-Haushalte; chronische staccatoartig vorgetragene, dabei zugleich dir seltsam vorkommende Entrümpelungsvorsätze ohne erkennbare Handlungsrelevanz; Partner, die dem Patienten eines der massenhaft in der Küche verfügbaren Messer auf die Brust gesetzt haben: „Entweder du machst mir den Weg zu meinem Computer frei oder ich gehe“; schwebende Gerichtsverfahren wegen Ladendiebstahls, von denen du klassischerweise erst am Ende des Erstgesprächs hörst: „Ich bräuchte dann übrigens auch noch ein Attest für den Richter, dass ich krank bin“).
Folgerichtig gibt es in den letzten Jahren ein Pendant zum übermäßigen Shopping, das sind Entrümpelungsratgeber aller Art, irrwitzigerweise muss man diese wiederum … kaufen. Es gibt auch Entrümpelungs-Kalender, Entrümpelungs-Seminare, Entrümpelungs-Selbsthilfegruppen, Entrümpelungs-Einzelcoachings und körperbezogene Entrümpelungs-Kuren, letztere in Form von Detoxsäften, Detoxtees, Detoxwasser und Detoxmineralien oder auch im Rahmen der bei allen Giftspritzen und –innen dieser Welt so beliebten Colonhydrotherapie. Ich erinnere mich, mal einer Patientin in einer schwachen Stunde so einen Entrümpelungsratgeber empfohlen zu haben, ich schrieb ihr ein Buch auf von einer seriösen Autorin, in Zeiten, als es sowas noch nicht meterweise in den Buchhandlungen gab. Anlass war gewesen, dass sie Streit mit ihrem Ehemann hatte, weil er ihr vorwarf, 36 offene Duschgels im Bad stehen zu haben. Die Buchempfehlung war offenbar goldrichtig, ein Volltreffer sozusagen, denn als erstes – eröffnete mir die Patientin in der nächsten Sitzung, sie habe das Buch gleich gekauft (!), dann aber in den darauffolgenden Tagen verlegt und könne es in ihrer Wohnung absolut nicht mehr finden. Aha, meinte ich, das sei ja wohl ein Symptom: Wenn sie etwas Neues kaufe, dann gehe es in ihrer Wohnung offensichtlich sofort unter. Zwei weitere Sitzungen später hatte sie sich zu einem Kraftakt entschlossen: sie werde sich jetzt an alle ihre Bücher machen und diese sortieren und … entrümpeln! Das hörte sich super an. In der nächsten Sitzung berichtete sie, weggeworfen hätte sie zwar noch kein Buch (ein Teil war immerhin in den Keller gewandert – was sollte er da eigentlich, zwischen Kartoffeln und Heizungskessel?). Aber sie hätte doch tatsächlich den Entrümpelungsratgeber wieder gefunden! Und daraufhin festgestellt, dass sie den gleichen schon hatte. Nun habe sie also zwei Exemplare. So kann es gehen: wenn man zu viel hat, ist das manchmal schlechter, als wenn man nichts hat. Das ist so ähnlich wie beim Canasta, wenn Du im bisherigen Spiel schon über 3000 Punkte angesammelt hast, musst Du für die nächste Eröffnung für mindestens 120 Punkte Karten raus legen, und das ist dann schon wieder blöd, weil es dich ewig blockieren kann im Spielverlauf.
Aber um meinen leichten Spott hier nicht ausufern zu lassen: dass wir anfällig sind für´s Shoppen, hat natürlich wiedermal mit den seelischen Grundkräften zu tun: es hängt einfach ungeheuer viel Psyche dran! Besonders die Selbstpsychologie hat einen Beitrag dazu geleistet, das Shopping-Phänomen hinsichtlich seiner seelischen Facetten näher zu beleuchten: etwas zu kaufen bedeutet demnach eine vorübergehende Selbst-Ausweitung. Das Identitätserleben, das Selbstwertgefühl und die Selbstzuwendung („Heute tue ich mal was für mich“) geraten in positive Wallung, wenn wir uns etwas Neues zulegen. Was wir leider oft dabei vergessen, ist der vorübergehende Charakter der ganzen Aktion. Das gilt natürlich für alle Suchtstoffe: die Wirkung von Alkohol flaut nach wenigen Stunden wieder ab, das Rausch der Geschwindigkeit ist nach dem Aussteigen aus dem Porsche Carrera verflogen, alle suchtspiralenartig sich potenzierende Lust am Besitz hat ein Ende – spätestens mit dem Eintritt des Todes, denn das letzte Hemd hat keine Taschen, wie uns der Volksmund halb gehässig, halb psychoedukativ lehrt. Beim Shopping ist das Phänomen der vergänglichen Befriedigung genau erforscht: die Selbstausweitung beginnt bereits zuhause, mit dem Vorsatz, „ich will heute eine schwarze Lederhose haben“, manchmal auch verzweifelter: „Ich will heute irgendwas kaufen“. Sie steigert sich beim Avisieren des Ladens, beim Akt des Auswählens, (wie beim fortgeschrittenen Alkoholiker interessiert aber die Qualität irgendwann nicht mehr und ob´s Bourbon oder Scotch ist, auch nicht); dann kommt der Höhepunkt, der Bezahlvorgang, der Übergang in den eigenen Besitz (die Beute wird erlegt). Doch die Selbstausweitung geht noch ein bisschen weiter, nämlich umfasst sie noch den Gang nach hause (die Beute heimtragen - in der modernen Variante des Online-Shopping wird diese Stufe imitiert durch die sogenannte Sendungsverfolgung, dann hast du das Gefühl, dass du im Grunde mit dabei bist, wenn das geshoppte Gebilde den Store verlässt, das Paketzentrum erreicht und mit dem Paketbediensteten durch die Strassen deines Wohnortes fährt). Desweiteren gibt es noch die Stufe des Auspackens aus der Tüte bzw dem Karton (der Beute das Fell abziehen) und die des Verstauens (damit es der Lebenspartner oder die eigene Tochter nicht sieht, dient aber auch der Vorratshaltung; viele Kleidungsstücke zum Beispiel werden nie getragen, viele CD´s nicht gehört). Nach dem Verstauvorgang ist die Selbstausweitung abgeschlossen. Und fortan zieht sich das Ego wieder, ähnlich wie eine enge Jeans mit hohem Elasthananteil, die du dir vom Körper streifst, auf das ursprüngliche Volumen zurück - um dem Leser hier den die ganze Kläglichkeit nahelegenden Vergleich mit dem Soufflé zu ersparen, das vorzeitig zusammenfiel.
Die Reversibilität der durchs Shopping ausgelösten Befriedigung ist nur dadurch abzupuffern, dass man sich nur solche Dinge anschafft, die in sich schön sind und für die ein Platz geschaffen wurde. Dann geh´ mal durch die Einkaufsstraßen und schau´, was sich da eignet. Viel ist´s nicht.
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