f Psychogeplauder: Bewegungsmelder

Samstag, 1. September 2018

Bewegungsmelder


Foto: SG Weinstadt e.V.


Überall zieht Technik ein. Du kannst mit Deinem Smartphone binnen Sekunden lesen, ob Deine Plätzchen im Einkaufswagen ungesundes Palmfett enthalten,
in den großen Städten kannst du damit (also weder mit dem Phone noch mit dem Palmfett, sondern mit den Plätzchen – nein, es war andersrum) Fahrräder ausleihen; wenn dir dein eben vorm Kölner Dom geschossenes selfie zu wenig hermacht, kannst du es auf Tastendruck als Ölgemälde verfremden und nach Kapstadt schicken und wenn du vom Skiurlaub nachhause fährst, lässt sich 100 Kilometer vor der geplanten Ankunft, die dir minutengenau vom Navi mitgeteilt wird, schon mal deine Bude vorwärmen. Das tollste sind aber diese Piep-piep-Funktionen, wenn sich dein Wagen beim Rückwärtsfahren einem Gegenstand nähert. Seit Jahren ist man und auch frau damit auf der sicheren Seite, jedenfalls meistens; unsere Nachbarin hat vor einiger Zeit mal einen völlig hoffnungslosen bad day erwischt (Hormone?) und morgens, als sie die Tochter in die Schule fahren wollte, ist sie mit Karacho nach hinten gefahren und in unser Auto rein. Volle Kanne, dass es so richtig krachte. Dabei hatte sie den neuesten Wagen, den du dir vorstellen kannst, mit allen elektronischen Schikanen. Die Lösung dieses Mysteriums ist, dass du die Warnfunktion durch zu schnelles Anfahren außer Kraft setzen kannst. Da kracht es erst und dann piept´s. Manche Baumaschinen piepen grundsätzlich. Egal ob ein Objekt in der Nähe ist, und unabhängig davon, ob sie vorwärts- oder rückwärtsfahren. Das sind halt auch sehr dicke Dinger. 


So eine Einkehr der Technik wünsche ich mir gelegentlich auch für die Psychotherapie. Gelegentlich, muss ich sagen; denn da, wo es sie bereits gibt, stört sie oft mein old-fashioned gebliebenes Grundempfinden; so kannst du heutzutage dich auch per mail therapieren lassen; dadurch brauchst du deinen Hintern nicht mehr in Bewegung setzen und deine Möglichkeiten, eine zwischenmenschliche Beziehung zu irgendeinem vermutlich selbst gestörten Therapeuten aufzubauen, müssen auch nicht bis zum letzten ausgeschöpft werden. Stattdessen loggst du dich einfach ein. Die Sache mit der email - Therapie wirkt. Und, jetzt kommt der flash, sie wirkt sogar, wenn dem Hilfesuchenden bekannt ist, dass ein Zufallsgenerator die Antworten auf seine Nachrichten, bevorzugt als SMS versandt, generiert. Es gibt aber auch handgefertigtere Sachen, da kriegt man eine individuelle Antwort. Nach elektronischer Erhebung einer grob zusammengehäkelten Anamnese oder, weil´s teure Psychologenarbeitskraft spart, nach Selber-Stellen einer Diagnose mittels eines Fragebogens, lässt man sich seine Depression oder seinen burnout therapieren. Es gibt eine Krankenkasse, die das derzeit sogar für ihre Versicherten zahlt. Und wenn du nicht dort versichert bist, kannst du trotzdem mitmachen, dann zahlst du es, sinnigerweise quartalsweise. Manchem sehr Vereinsamten mag es helfen, wenn er den Rat bekommt, „gehen Sie täglich eine halbe Stunde raus, egal bei welchem Wetter“; oder unter der Rubrik ungelesene Nachrichten einen Tadel liest, „gestern haben Sie nichts gemacht, was Ihnen Freude bereitet, dafür müssen Sie Sich für heute zwei schöne Sachen auf einmal überlegen!“ Aber insgesamt bin ich doch skeptisch, auf welchem Blödniveau unsere Zunft da die offensichtlich von Grund auf beratungsbedürftigen Personen, die man dann gerne Klienten nennt, abholen will.

Im Unterschied zu den online-Therapieangeboten gibt es in denjenigen Bereichen, in denen ich seit Jahren sehnsüchtig eine technische Erleichterung unserer therapeutischen Arbeit ersehne, nichts auch nur annähernd Brauchbares am Horizont, noch nicht mal in Form von Pilotprojekten, wie das die oben genannte Krankenkasse etabliert hat. So wünsche ich mir eine intelligente Warnvorrichtung vor Karacho-Kollisionen mit dem Patienten, so eine Art Bewegungsmelder für gefährliche Therapeutenbemerkungen; also für zu rasche, zu beherzte, zu burschikose, kränkende, bloß falsch verstandene, missverständlich formulierte oder den Patienten völlig aus seinen ichstrukturell dünngestrickten Latschen hauende Interventionen. Jeder Therapeut muss ja schließlich mit Interventionen arbeiten, was daran liegt, dass er nichts anderes zur Verfügung hat außer Interventionen. Und wie schnell hat man da Schaden gesetzt, bis hin zum Therapieabbruch. Mit Interventionen ist was Sprachliches gemeint; natürlich sollte man als Therapeut wissen, dass man auf private Beziehungen zu seinem Patienten verzichten sollte, erst Recht, wenn man ihn kurz darauf wieder verlässt und dieser sich dann aus dem dritten Stock stürzen will. Wer für so was einen Piep-piep-Mechanismus benötigt, kriegt so wenig in die Spur, dass er lieber in ein anderes Metier (Regisseur?) wechseln sollte. Aber es gibt ja auch heiklere, feinere, rein verbale und en miniature zu reflektierende Interventionen, bei denen allein der Tonfall, der mitgelieferte Gesichtsausdruck, der Zeitpunkt oder das Suffix („Sie sind empfindlich! – nein! – empfindsam!“) über den guten, kreativen, ja vielleicht heilsamen Ausgang der Aktion entscheidet. So ein Kollusionswarnton eine halbe Minute vor der erwartbaren, mit Karacho entgegengeschleuderten Kränkung könnte manchen therapeutischen Supergau noch quasi im letzten Moment verhüten helfen. Das Ding sollte erschwinglich sein, nicht mehr als einen Quadratmeter Stellfläche benötigen und leicht zu warten (!!).
Nun wirst du einwenden, dass man ja für´s sensible Intervenieren Therapeut geworden ist und es jahrelang in einer aufwändigen Ausbildung gelernt hat, das Richtige zu sagen. Aber auch Therapeuten haben bad days. Und Patienten, das darf ich zur Ablenkung vom nachfolgend geschilderten, ausschließlich meinerseits verschuldeten Unfall sagen, auch. Einmal hatte ich einen Patienten, der erst nach Abklingen seiner Depression zu mir kam, weil sein Hausarzt ihm abriet, mit einer Pfui-Diagnose bei einem Therapeuten aufzutauchen, wegen erwartbarer Nachteile bei der Versicherung. Er duzte ihn und behandelte ihn, ich weiß nicht, umsonst oder auch gegen Bares mit Medikamenten und Gesprächen, jedenfalls war irgendwann die Depression weg und die Berufsunfähigkeitsversicherung in trockenen Tüchern, doch danach schickte er seinen Duz-Patienten dennoch zu mir, vermutlich weil er am interventionstechnischen Ende war oder auch weil er dachte, er habe dem Versicherungsopfer jetzt lange genug den Freud gemacht. Es ging um die frühere Partnerin des Patienten, beide hatten sich einvernehmlich getrennt, weil er beruflich bedingt von Norddeutschland nach Süddeutschland umgezogen war. Er war jugendlich, vital und auch attraktiv, fuhr eine dicke Karre und war ein netter Kerl mit liebenswerten Hobbies; aber Stunde für Stunde nölte er mir vor, dass er seine Expartnerin vermisse; der Sex mit ihr war der beste, den er je hatte. Die Sache begann mich zu nerven. Wenn du das als Frau jede Woche anhörst, stellt es dir halt irgendwann alles ab. Auch Frühwarnsysteme. Eines Tages flippte ich aus und fragte ihn, ob er angesichts dieser von ihm genial auf den Punkt gebrachten Problemstellung doch lieber ein Bordell besuchen solle anstatt bei mir Therapie machen. Ich wusste sofort, ich hatte einen folgenschweren Fehler gemacht. So doof bin ich nicht, auch wenn du genau das jetzt gedacht haben magst. Es schepperte also erst, wie bei meiner Nachbarin, und dann piepste es unaufhörlich. Er hielt zwar die Sitzung durch, sorgte aber schon rein dadurch für eine Überraschung, dass er überhaupt zur nächsten Sitzung erschien, anstatt für immer abzusagen. Er kam ohne Umschweife zur Sache: was ich da gesagt hätte, könne er so nicht stehen lassen. Er habe sich im Freundeskreis umgehört, wie die das finden. Und einstimmig sei man zum Ergebnis gelangt, dass das nicht gehe. Er beende hiermit die Therapie. 

Immerhin hatte dieser Patient, was seine breit angelegte Umfrageaktion eindeutig belegte, ebenfalls keinen natürlichen Sensor zur Verfügung; auch er hätte nämlich von einem elektronischen Frühwarnsystem für Therapeuten profitiert, in seinem Falle vor Therapeuten, die es nicht bringen und die man schleunigst wieder verlassen sollte. Ich habe mir das üppige Entscheidungsgremium genau aufzählen lassen: zweier Frauen und dreier Männer, ihn selbst nicht mitgezählt, sowie eines längeren Kneipenabends und vorherigen gemeinsamen Paella-Essens hatte es nämlich gebraucht, um die Sache eindeutig klarzustellen. Karacho leitet sich übrigens vom spanischen carajo ab und ist ein übler Fluch, die Übersetzung erspare ich dir und mir, ist aber mit den modernen elektronischen Übersetzungshilfen sekundenschnell zur Stelle, gottlob nur wenn man´s will.


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