Foto: wikipedia.org. Turmschädel, Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart Künstlich deformierter Schädel einer Alamannin |
Dass man bei dieser pikanten Angelegenheit üblicherweise den französischen Ausdruck benutzt, liegt naheliegender Weise daran, dass die Sache an sich ja peinlich genug ist
und durch die leichte sprachliche Entfremdung quasi ein bescheidender Rest an Eleganz und Würde gerettet werden soll. Wer fühlt sich auch schon angesprochen durch das deutsche Pendant, etwa in Form von "berufsbedingte Entstellung" oder "berufsbezogene Behinderung" oder ähnlichem beschreibbar. Natürlich gibt es sowas nicht nur bei Therapeuten. Aber, das muss ich, sogar als selbst Betroffene, zugeben, bei keiner anderen Berufsgruppe macht es so zügellosen Spaß, sich die Deformierungen aus der Nähe zu betrachten.
und durch die leichte sprachliche Entfremdung quasi ein bescheidender Rest an Eleganz und Würde gerettet werden soll. Wer fühlt sich auch schon angesprochen durch das deutsche Pendant, etwa in Form von "berufsbedingte Entstellung" oder "berufsbezogene Behinderung" oder ähnlichem beschreibbar. Natürlich gibt es sowas nicht nur bei Therapeuten. Aber, das muss ich, sogar als selbst Betroffene, zugeben, bei keiner anderen Berufsgruppe macht es so zügellosen Spaß, sich die Deformierungen aus der Nähe zu betrachten.
Es fängt meistens schon mit der Optik an; Psychos tragen selten Nadelstreifen oder High-Heels, wie es bei höhergestellten Vertretern, sagen wir, der Wirtschaftsbranche, erwartbar wäre. Auch das nihilistisch-hippe Schwarz der Werbebranche oder die englisch-konservativen Hingucker wie etwa Barbourjacken, Zuchtperlohrstecker oder gewisse Poloshirts mit einem Krokodil drauf, sehr beliebt zur Förderung der durch harsche Professoren gebeutelten Lebensfreude fortgeschrittener Jurastudenten, wirst du bei den Psychotherapeuten selten finden. Rahmengenähte Budapester-Schuhe, Rolexuhren oder Diamantschmuck als schamlose Insignien des irdischen Reichtums sind, das versteht sich von selbst, allenfalls an solchen Therapeuten zu sehen, die Otto KERNBERG heißen und pro Vortrag fünfstellig verdienen, oder an jenen, die ein größeres Erbe gemacht haben, aber letztere hören meistens sowieso unverzüglich mit ihrer Tätigkeit auf. Der Therapeut ist durchaus, dafür spricht schon seine selbstreflexive Begabung, mit Bedacht und so angezogen, dass er andere Menschen nicht allzu sehr irritiert; das heißt, er versucht, einigermaßen sauber und ansonsten nicht allzu auffällig daherzukommen, zumal er ja Menschen aus allen sozialen Schichten, mit einer leichten Schlagseite zu den unteren Abteilungen, begegnet und man möchte ja nicht gleich durch die Kleidung hier Gräben des menschlichen Unterschieds aufreißen. Weibliche Vertreter des Berufes neigen darüberhinaus zur sogenannten BID (nicht zu verwechseln mit bitch, ich darf doch sehr bitten!), der bekleidungsbezogenen Identitätsdoppelung; mit diesem Begriff ist das merkwürdige, jedoch trotz ohnehin anzunehmender Dunkelziffer immer häufiger anzutreffende Phänomen gemeint, dass Therapeutinnen während ihrer Praxistätigkeit kaum oder nicht geschminkt, in neutrales Grau oder Beige gehüllt und selten berockt sind (die übereinandergeschlagenen Beine in tiefer gelegten Sesseln bergen für gegenübersitzende männliche, zumal ja oft gerade verlassene oder von ihrer Partnerin unverstandene Patienten Perspektiven ohne sicher auszumachendes Ende); dagegen ist es möglich, die gleichen Erdenwesen während ihrer karg bemessenen Freizeit in gewollt oder ungewollt kurzen (wenngleich oft etwas aus der Mode geraten zu scheinenden) Röckchen oder Glitter- und Glimmer-Oberteilen anlässlich eines Kinofestivals oder einer Bilderausstellung anzutreffen, als handele es sich um eine Art entfesselten Eros, der sich außerhalb der ganzen Abstinenzsoße unkoordiniert wie die Bewegungen eines Dreijährigen Bahn bricht. Überzufällig häufig ist außerdem, ich widmete diesem Phänomen im übrigen bereits Raum in einem früheren post namens „Container“, das Tragen von, vorsichtig ausgedrückt, etwas grob anmutendem Schuhwerk; zur Erklärung dieser auf den ersten und leider auch zweiten Blick unverständlichen Vorliebe bei ausgesprochen sitzendem Berufsbild müssen interpretatorische Klimmzüge bewerkstelligt werden, die ihr Substrat in psychodynamischen Kettenreaktionen zum Selbstschutz haben.
Doch wenden wir uns nach dieser Abfolge eitler Nichtigkeiten der tieferen Bedeutung des Begriffes déformation professionelle zu. Hier wird die Sache ernst. Wer mit einem langjährig tätigen Psychotherapeuten zusammenlebt, vermag wohl dessen zahlreiche, mehr oder weniger liebenswerte Verhaltensanomalien am treffendsten zu beschreiben. Ich zitiere also nachfolgend einige der im Laufe der Zeit sich am häufigsten Gehör schaffende Klagen über Psychotherapeuten. Da wäre zunächst das eigentümliche Phänomen zu nennen, dass Therapeuten im privaten Bereich eine beinahe beklemmende Pünktlichkeit an den Tag legen und diese auch von ihren Gästen, Freunden und Familienangehörigen erwarten. Der Blick auf die Uhr hat teilweise groteske Ausmaße angenommen, und da der Therapeut stunden-, tage-, jahre- und jahrzehntelang auf Pünktlichkeit getrimmt ist, vermag er nicht mehr zu unterscheiden, ob die gemeinsame Kinoverabredung um 20 Uhr 30, die erst um 20 Uhr 36 von der Gegenseite realisiert wurde, nun eine Herabwürdigung seiner Person darstellt, ein verdecktes Motivationsdefizit ausdrückt oder einfach nur so ist, wie sie ist. Zu dieser Auffälligkeit tritt eine weitere, ebenfalls dem zwangsneurotischen Bereich zuzuordnende Tendenz zu kleinkrämerischem Geiz. Triffst du einen Therapeuten, selbst wenn dieser ein guter Freund ist, mal samstags unterwegs in der Einkaufsstraße und ihr beschließt, mit der einem Therapeuten gerade noch größtmöglichen Spontanität, einen Kaffee zu trinken, so solltest du dich nicht wundern, wenn er hierzu den billigsten Stehschuppen vorschlägt, der sich bietet, und die beiden Lattemacchiatos auch noch getrennt bezahlen möchte. Dieses traurige Phänomen hat natürlich einen bitteren Ursprung: der Therapeut lernt im Laufe seines Lebens, dass er fünfzigminutenweise sein Geld verdient, und er begibt sich bei der Organisation seiner Finanzsituation immer mehr in eine Art Zählrausch, unterstützt durch die ständige Beschäftigung mit Therapiesitzungen, den sogenannten Stunden, deren Ein- und Austragung im Terminkalender sowie zweimal kontrollierten (bloß nix vergessen!) Eingabe in ein elektronisches Datenverarbeitungssystem zur Abrechnung mit einer bis auf den letzten Bruchteil eines Cents abbildbaren materiellen Wertigkeit. Dazu kommt, dass er dauernd abstinent sein soll, so dass es passieren kann, dass du einen Therapeuten spontan fragst, ob ihr einen Kaffee trinken gehen wollt, und er erst einmal darüber … nachdenkt.
Die Verpflichtung zur Abstinenz schafft auch jenes, für den Mitmenschen oft schwer zu ertragende Phänomen, dass in Gesprächen der Nichttherapeut sich hinterher im Rückblick irgendwie schal und hohl fühlt, da er merkt, dass er die ganze Zeit viel mehr von sich geredet und preisgegeben hat als sein Therapeuten-Freund, und sich fragt, wie es diesem eigentlich geht, da er dazu nichts oder nur Farbloses („Es geht, alles ist im Fluss, kein Grund zu klagen, bin mental ausgewogen“) zu hören bekam. Darüberhinaus kriegst du den Therapeuten nach Feierabend selten an den Telefonhörer, so dass du dich fragst, ob der Therapeut überhaupt ein privates Telefon hat oder ob das an Wochentagen immer gerade kaputt ist; denn der klassische Behandler, ist er nicht gerade esoterisch unterwegs und lässt statt seiner Stimme eine Sphärenmusik-CD arbeiten, ist abends leergequatscht und will nichts mehr reden.
Therapeuten haben Ohren, die so lang, fein und makrokosmisch austariert sind, dass du ständig Gefahr läufst, a) sie zu kränken und b) aufgrund ihrer beneidenswerten Fähigkeit, Gefühle umweltverträglich zu verstecken, es nicht einmal zu merken. Wir haben es hier mit einer enorm verletzbaren Untergruppe des homo sapiens zu tun, was eine zwangsläufige, vom Betroffenen nicht willkürlich steuerbare Folge seiner ständigen Verpflichtung zur Empfindsamkeit ist, und die muss der ordentliche Therapeut nicht nur nach außen auf die ihm anvertrauten Patienten, sondern auch nach innen auf seine durch Lehrtherapien, Psychokurse, Gruppensitzungen und Therapiemisserfolge enorm erschütterungsanfällige Egowelt richten. Seismographisch zeichnet er auf, ob du ihn noch wahrnimmst, verstehst, liebst, akzeptierst, kennst und wertschätzt. So kommt es zu den hämischen Witzeleien der dilettantischen Umwelt der Sorte: Begegnen sich zwei Therapeuten auf dem Gang; sagt der eine: „Guten Morgen!“ Sagt der andere auch: „Guten Morgen“ und denkt sich beim Weitergehen: „Was wollte er mir damit wohl sagen?“
Böse Zungen behaupten, die geschilderten Eigenheiten seien nicht Folge, sondern Ursache der Berufswahl. Is´ mir egal. Kommt eh´ auf´ s Gleiche raus.
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