f Psychogeplauder: Epigonen-Probleme

Sonntag, 21. April 2019

Epigonen-Probleme





So richtig heiß wird es dann, wenn du als Therapeut nicht der one and only bist. Sowas kommt ja vor, also du redest mit einem Patienten im Erstgespräch so ahnungslos vor dich hin, fühlst dich irgendwie wohlig eingehüllt vom Psychoslang des Patienten und angenehm angetan von den total selbstreflexiv wirkenden Überlegungen dieses neuen Hilfesuchers, und merkst erst gegen Ende, dass derjenige schon bei Frau Kollegin Krötenschreier oder Herrn Doktor Sabbelphillip eine Therapie gemacht hat.
Eigentlich gehen viele Patienten ja zum Ort des Verbrechens, also das ist jetzt vielleicht etwas übertrieben ausgedrückt, zurück, und wenn sie eines Tages, oft Jahre nach einer Therapie, erneut irgendwelche Symptome kriegen, rufen sie infolgedessen denjenigen Therapeuten an, bei dem sie schon einmal waren, denn „dann muss man nicht alles nochmal von vorne erzählen“ und außerdem ist es ja auch irgendwie ganz bequem, sich in vertraute Gefilde zu begeben. Eine Kollegin von mir hat den Grundsatz, zweite Therapie ja, bei drei Therapien steigt sie aus. Bei dieser Maxime sind ganz offensichtlich viele Erfahrungen am Werke, und zwar nicht nur gute. Es kommt aber auch vor, dass der Patient bei erneuten Beschwerden einen neuen Anfang machen und zu einem anderen Therapeuten gehen will, zum Beispiel weil er seinem alten Behandler die frustrierende Erfahrung ersparen möchte, festzustellen, dass die Symptome eines Tages zurückgekommen sind.

Wie man sich denken kann, haben die Therapeuten für Patienten mit solch unterschiedlicher Vorgeschichte variantenreiche Bezeichnungen zur Verfügung, eine Art internen Slang, um zum Beispiel den Kollegen in einer Supervisionsgruppe mit wenig Aufwand die wichtigsten Infos über etwaige Vortherapien und wenn, bei wem, zukommen zu lassen. 

Patienten, die vorher keinerlei Psychotherapie-Erfahrung hatten, nennt man therapeutische Frischware, also ich gebe zu, das ist nicht sehr romantisch und offenbart doch die oral-depressiven Strukturanteile der meisten Therapeuten, die sich irgendwie vom Patienten ernähren wollen und nur Bekömmliches und nichts Verderbliches sich hierbei einzuverleiben hoffen. Die nutritive Schlagseite auch der anderen Kategorien ist dennoch nicht als despektierlich zu interpretieren, weist doch die Wahl solcher Metaphern aus dem Nahrungsbereich eine große Nähe des Therapeuten zu seinem Patienten auf. Frischwarenpatienten sind beliebt, erstens hat man weniger Aufwand und weniger diffizile schriftliche Arbeit beim Beantragen der Kostenübernahme für die Behandlung, und zweitens können die beiden Protagonisten der Ersttherapie noch naiv, das heißt ohne Frust und Bitterkeit oder gar diesen Jetzt-muss-es-aber-endlich-mal-zünden-Ehrgeiz, der sich bei einer Zweittherapie einstellt, an die Sache rangehen. Sagen wir´s so, das Paar ist noch in den Flitterwochen und weder unangenehme Schwiegermütter noch erste Abnutzungserscheinungen stören die sich Liebenden.

Letzteres ist leider nicht auszuschließen, wenn es sich um eine Zweit- oder gar Dritt-Therapie beim selben Therapeuten handelt. Man spricht hier auch von Konserven. Diese Patienten haben, neben den zuvor genannten Nachteilen, auch gewisse Vorzüge zu bieten: Man darf als Therapeut davon ausgehen, dass die Konserve einen fachlich schätzt und menschlich nicht völlig ablehnt. Außerdem weiß man selbst ja, was drin ist in der Dose, und ist vor Überraschungen doch gut gefeit, verglichen mit Frischware. Das Problem ist hier, dass man als Therapeut eventuell nur glaubt zu wissen, was drin ist, und seine Schmalspurhypothesen und altbewährten Stümperdeutungen bloß wiederholt, anstatt sie neu zu denken. Auf Konservenseite ist es ebenfalls eine vielschichtige Konstellation; denn manche Wiederkommer wollen gerade deswegen wiederkommen, weil der Therapeut schon beim ersten Mal falsch lag und sie das so erlebt haben, dass die Therapie nicht wirklich an´s Eingemachte ging und sie bequemerweise eine ähnliche Wischiwaschitherapie, wie sie sie bereits einmal durchlaufen hatten, einer unübersichtlichen, riskanten neuen Erfahrung vorziehen. Da Therapien, solange sie laufen, auch mit unspezifischen Wirkfaktoren ganz gute Effekte erzielen können, bleibt der methodische Mangel in Form einer unzureichenden Hypothese zunächst unentdeckt, und erst nach Abschluss der Behandlung stellen sich dann … die altbekannten Symptome irgendwann wieder ein. Thunfisch im eigenen Saft.

Die dritte Gruppe ist psychodynamisch heißer als die beiden zuvor erwähnten: Hier haben wir es mit Leuten zu tun, die keine unbeschriebenen Blätter sind, sondern in fernerer oder näherer Vorgeschichte bei einem anderen Fachkollegen ihr Heil gesucht haben. Was steckt dahinter, dass sie diesem untreu warden? Waren sie unzufrieden? Hatten sie sich nicht verstanden gefühlt? Hat der Vorbehandler sie irgendwann entnervt oder desillusioniert fallen lassen? Oder wirkte er so, dass sie sich nie ganz anvertrauten, da sie fürchteten, er breche dann zusammen oder heule mit? Hatten sie eigentlich zu ihm gehen wollen, aber dann festgestellt, dass er gestorben, umgezogen oder überlastet ist? Fragen über Fragen. Und wer glaubt, diese würden vom Patienten wahrheitsgemäß beantwortet, steht da schnell in geschrumpfter Form in Alices Wunderland herum. Bei diesen Patienten gibt es die Untergruppe der Fertigteige, das sind die diejenigen, deren früherer Therapeut schon soviel Vorarbeit geleistet hat, dass man sie jetzt nur noch – pardon – ausrollen und fertigbacken muss. Natürlich kann man an ihnen nicht mehr allzu viel verändern, sie haben sich sozusagen schon in Form gegossen, die gröbsten Verzerrungen und Verwerfungen wurden bereits wegtherapiert, das nennt man Nachreifen und macht das nachgereifte Exemplar zu einem ganz erträglichen gegenüber. Schwieriger wird es, wenn du, weil du am Vorabend wieder zuviel Cote d´Arrogance getrunken hast, davon überzeugt bist, dass der Vorbehandler alles falsch gemacht hat und du jetzt mühsam die Backmischung neu zusammenstellen musst und vorher auch noch die Maden aus dem Mehl sieben. Das ist wirklich nicht sehr angenehm, und wenn es nach mir ginge, bekäme man dafür eine Gebührennummer zugesprochen, deren Ansetzen mit einer Honorardopplung pro Stunde einherginge. Solche verhunzten Fälle sind die Mehlsäcke unter den Hilfesuchenden, meistens schwer und unbeweglich, mit anhaltender Symptomatik und nicht selten schwerer krank, die sich durch gewisse innerseelische Filmtitel auszeichnen wie „Meine Eltern haben mich auf dem Gewissen“, „Ich will nie mehr Opfer sein und zieh´ sofort die Knarre“ oder "Ab jetzt komme ich dran und sonst niemand“, nur noch getoppt von, ich zitiere wörtlich, „Ich bestehe auf einer therapeutischen Beziehung!“. Immerhin taugen sowohl Mehlsäcke als auch ihre angenehmeren Geschwister, die Fertigteige, zum kostenlosen und zugleich unsichtbaren Nähkästchen-Rumstöbern bei anderen, in diesem Falle früher behandelnden Kollegen, und nicht selten hörst du, was die so gesagt haben (angeblich) und gemacht haben (angeblich) und welchen Abschiedsspruch sie dem Patienten auf den Weg gaben (wenn´s stimmt). Manche Patienten wirken durch ihren Vortherapeuten so geprägt, dass du seine Handschrift in ihrer Sprache, ihrer Denkweise und ihren Erwartungen, wie du arbeiten sollst, wiederfindest. Sie gelten nicht als reine Patienten, sondern das Gebilde, welches sich da bei dir in Behandlung begibt, besteht aus einem siamesischen Geisteszwilling ihrer selbst und ihres früheren Behandlers; dieses Gebilde will als Duett von dir angenommen und beherbergt werden. Für solcherlei komplexe Doppelkonstellationen eignen sich Kurzbezeichnungen im Stile klassischer Doppelnamen wie etwa „Krötenschreier-Schäfchen“ oder „Sabbelphillip-Epigone“. Keine leichte Aufgabe. Und sicherlich eine der subtilsten Methoden, die ehemaligen Therapeuten und deren fachliche Ergüsse in einem Aufwasch gleich mitzubehandeln, ohne Mehrkosten für die Kassen, dafür mit sehr hohem Energieaufwand. Da wird es wieder einmal deutlich: wir Therapeuten sind zu gut für diese Welt!







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