Sympa und Empa teilen sich die Aufmerksamkeit des Betrachters |
Nicht immer ist der Therapeut mit seiner persönlichen Verfassung ein Modell für seelische Gesundheit. Das Phänomen des Helfers, der selbst nicht aus dem Vollen schöpfen kann, ist in der gesamten Medizin, wie auch in den sozialen und den geisteswissenschaftlichen Disziplinen bekannt
und sollte nicht weiter verwundern; der mit Gott hadernde Pfarrer, der kranke Arzt oder der übergewichtige Ernährungsberater – sie sind kein primärer Ausdruck von Lächerlichkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern zunächst einmal dienen sie als evidente Hinweise, dass es sich um Menschen handelt und dass diese die Problemstellungen, denen sie ihre beratende, kurative oder intellektuelle Tätigkeit widmen, bestens kennen. Ich habe einmal gehört, dass Pianisten, deren Hände locker eine Dezime umspannen können (was unerwartbar viel ist, vor allem, wenn sie nicht zugleich großgewachsen sind), in pädagogischer Hinsicht schlechte Klavierlehrer abgäben, im Gegensatz zu jenen, denen nur mittelgroße oder gar kleine Hände gegeben seien, und die Kniffs, Tricks und Training benötigen, um dennoch die großen Klavierwerke gut zu bewältigen. Aus ähnlichen Erwägungen heraus ließe sich trefflich streiten, ob von Natur aus heitere Gemüter, die nicht so viel grübeln und denen einen gute Portion Selbstbewusstsein mitgegeben ist, als die begabtesten Vertreter der Psychozunft zu betrachten sind.
Den Psychotherapeuten ist es ein häufiges Anliegen, ihrem Patienten dabei zu helfen, zwischen Du und Ich zu unterscheiden, also die sogenannte Selbst-Objekt-Differenzierung zu verfeinern. Die Selbststärkung und Festigung der eigenen Identität im Unterschied zu Pseudoidentitäten, die Bildung eines wahren statt eines falschen Selbst, stehen beileibe nicht als einzige, aber als geradezu klassische Therapieziele hoch im Kurs. Daneben gibt es auch modernere, mehr zeitgeistabhängige Zielsetzungen; eine wichtige davon ist die Verhütung oder Behandlung des sogenannten Burnout-Syndroms, also jener Fälle, in denen eine Person über bloße Erschöpfung hinaus mit seelischen Veränderungen zu kämpfen hat, die ihr die langjährige Ausübung ihres Berufes beschert.
Da spätestens ahnt man eine gewisse Tragik des eigenen Berufsstandes: wissen die Therapeuten zu wenig, wie das ist, sich gefühlsmäßig mit der affektiven Befindlichkeit des Mitmenschen (oder des gerade im Fernsehen laufenden Thrillers) zu vermischen und die eigene Identität schier zu verlieren, dann verstehen sie zu wenig vom Patienten und werden dessen persönliche Problematik wohl kaum nachvollziehen, unter Umständen nicht einmal diagnostizieren können. Sie nehmen zuwenig teil. Und wissen sie zu viel davon, weil es ihnen via Idenfizierung mit den Nöten des anderen selber so geht, dann sind sie über kurz oder lang als Therapeuten ungeeignet; denn dann stehen sie durch den Beruf selbst permanent an dieser Ich-Du-Grenze, müssen immer wieder Übergänge wagen und zurückfinden und brennen dadurch dann… „aus“. Sie beobachten zuwenig. Der burnout-Begriff war – im Gegensatz zu heute - ursprünglich in den 1970er Jahren konzeptuell anhand der helfenden Berufe entwickelt worden und beinhaltete, dass die Beschwerden und Symptome der Patienten bzw. Klienten beim erschöpften Therapeuten kein Verständnis mehr auslösen können, sondern Zynismus hervorrufen („Soso, mehr zu dir selber finden willst du, das würde ich auch gerne, du anspruchsvoller Egoist, und das womöglich noch auf Kosten der Krankenkasse und meiner ohnehin angeschlagenen Nerven“).
Eines ist klar: Ohne das „Wissen“ vom fremden Seelenleben ist weder eine theoretische Klärung seelischer Krankheitszustände, also eine Nosologie, noch eine einigermaßen hinreichende praktische Fähigkeit im Umgang mit seelisch Kranken zu erwarten. Die genauere Betrachtung dieser Eigenschaft des Therapeuten ist aber entscheidend mit der Frage verbunden, was hiermit eigentlich gemeint ist. Bei der Erörterung der sogenannten fremdseelischen Erkenntnis können wir – entgegen unserer Erwartung – nicht nur auf psychologische Theorien zählen. Sondern wir haben hier zwei ganz andere Erkenntnisdisziplinen an unserer Seite: eine neurobiologische, die auf denn sog. Spiegelneuronen beruht und das Mitgefühl erklärt, und eine philosophische auf dem Gebiet der Phänomenologie, die die Einfühlung beschreibt. Beide Disziplinen zeigen uns, dass Mitgefühl und Einfühlung in Wahrheit unterschiedliche Formen der Erkenntnis darstellen. Die alten Griechen hatten wieder einmal Recht: sie haben uns zwei Begriffe hinterlassen, Sympathie und Empathie. Deren Dosierung scheint ein wesentlicher Bestandteil der Psychohygiene zu sein - nicht nur für die Therapeuten, sondern für alle fühlenden Wesen!
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