Make Up - Trend mit Deutungspotential |
Wenn Du als Therapeut arbeitest, insbesondere mit der Spezialität der Psychoanalyse oder Tiefenpsychologie, ist es Dein Job zu interpretieren. Du passt also auf, was Dein Patient Dir via Symptombeschreibung, Träumen, seiner Beziehungsgestaltung Dir gegenüber, Versprechern und sonstiger sogenannter Produktionen des Unbewussten nun mitteilen will – und zwar: eigentlich mitteilen will. Der Job ist in den Augen der Umwelt oft interessant (Hellseher-Qualitäten werden Dir zugedacht) bis hin zu gemein (fieser Entlarver, Kripo-Allüren). Abgesehen davon, ist er vor allem eines: gar nicht so einfach.
Beim Interpretieren, das in unseren Fachkreisen dann, wenn man es mit unbewussten Dingen zu tun hat, gern auch als Deuten bezeichnet wird, kann man Fehler machen. Man muss, ähnlich wie ein Kriminalkommissar, der auch noch den letzten Zigarettenstummel am Tatort beäugt, und ganz nach dem Vorbild der weißhaarigen Wahrsagerin, die sich konzentriert in ihre Kristallkugel versenkt, aufpassen. Nicht nur optisch, auch mit Worten. Wer´s nicht genau kapiert, sollte also lieber nochmal nachfragen im Zweifelsfall. Im Grunde ist nämlich der Patient Experte und erst in zweiter Linie sein Therapeut.
Beim Interpretieren, das in unseren Fachkreisen dann, wenn man es mit unbewussten Dingen zu tun hat, gern auch als Deuten bezeichnet wird, kann man Fehler machen. Man muss, ähnlich wie ein Kriminalkommissar, der auch noch den letzten Zigarettenstummel am Tatort beäugt, und ganz nach dem Vorbild der weißhaarigen Wahrsagerin, die sich konzentriert in ihre Kristallkugel versenkt, aufpassen. Nicht nur optisch, auch mit Worten. Wer´s nicht genau kapiert, sollte also lieber nochmal nachfragen im Zweifelsfall. Im Grunde ist nämlich der Patient Experte und erst in zweiter Linie sein Therapeut.
Meine derzeit älteste Patientin ist knapp 79 Jahre. Klug, gebildet, vornehm und einsam. Erzählt sie mir neulich, dass sie damit begonnen habe, jeden Morgen Rouge aufzulegen. Schon sprang der Gelegenheitscolumbo in mir an, der Hobbypsychologe, der schon wusste, aha, sie kann sich mit dem Altern nicht abfinden, kein Wunder, verwiesen doch die durchwachten Nächte, der erhöhte Alkoholkonsum und die Panikattacken der Patientin… eindeutig darauf, dass sie Angst vorm Alter hatte, am liebsten die Augen vor der nahenden Altersheim-Entscheidung verschloss und auch sonst vor ihrer ganzen Zukunft. So hatte sie es auch im ersten Gespräch vor einem halben Jahr beklagt. Sie wollte sich offenbar jung machen mit dem Rouge. Oh je, da lag wohl noch viel Arbeit vor uns beiden!
Ich fragte – immerhin! – erst einmal nach. Sie berichtete, sie habe sich zeitlebens ein wenig, selbstverständlich zurückhaltend, geschminkt, aber nie Rouge benutzt. Gottlob entschloss ich mich, die Sie-kann-nicht-Altwerden-Hypothese noch in der inneren Warteschleife zu lassen und stattdessen ein Art-of-Make-up-Gespräch einzuleiten. Ich fragte sie also nicht, warum sie jetzt Rouge nehme. Dazu hatte sie, bei erster Fragerunde, gar nichts Substantielles sagen können („aus einer Laune heraus“). Stattdessen fragte ich sie, warum sie ihr Leben lang – bis vor einigen Tagen – kein Rouge benutzt habe. Ja, tatsächlich, sie hatte es bis vor kurzem gar nicht im Hause gehabt, nicht einmal ein altes, kurz nach dessen Kauf dann verschmähtes und im Badezimmerschränkchen nach ganz hinten gerutschtes Döschen. Und dann erinnerte sie sich: Mit 18 sei sie als Au-Pair-Mädchen nach Frankreich gekommen. Sie habe damals im Herrenhaus einer adeligen, aber völlig verarmten Familie auf die beiden Töchterchen aufpassen müssen. Sie habe mitwohnen dürfen in dem riesigen, verwinkelten Anwesen in der Dordogne, welches schlecht beheizt war bis auf den repräsentativen salle de séjour. Meine Patientin kam, erzählend und erklärend, immer mehr in Fahrt, und die Erinnerungen purzelten. Seit dieser Zeit habe sie den Wert wollener Unterwäsche zu schätzen gelernt, da man darin weniger fror. Jeden Morgen, wenn die Kinder ihre Schulstunden hatten, war ihre eigene freie Zeit, und weil sie bei der – in ihren achtzehnjährigen Augen „uralten“ Großmutter, die einen eigenen Seitentrakt im Gebäude bewohnte, einen Stein im Brett hatte, erhielt sie von ihr um 9 Uhr jeden Morgen eine Stunde französische Konversation. So sei sie morgens ins Séjour gekommen, pünktlichst, um die ehrwürdige Dame nicht zu kompromittieren. Manchmal sei es vorgekommen, dass sie noch kurz warten musste. An diesen Tagen stand sie auf dem alten, abgewetzten Perserteppich etwas verloren für ein paar Minuten herum, mit Blick auf die Türe zum Wohntrakt der alten Hausherrin, die sich erwartungsgemäß bald öffnen würde. Ihr klängen die Worte der Hausdame noch im Ohr: „Warten sie noch einen Augenblick, Mademoiselle! Die Marquise legt noch das Rouge auf“.
Ich fragte – immerhin! – erst einmal nach. Sie berichtete, sie habe sich zeitlebens ein wenig, selbstverständlich zurückhaltend, geschminkt, aber nie Rouge benutzt. Gottlob entschloss ich mich, die Sie-kann-nicht-Altwerden-Hypothese noch in der inneren Warteschleife zu lassen und stattdessen ein Art-of-Make-up-Gespräch einzuleiten. Ich fragte sie also nicht, warum sie jetzt Rouge nehme. Dazu hatte sie, bei erster Fragerunde, gar nichts Substantielles sagen können („aus einer Laune heraus“). Stattdessen fragte ich sie, warum sie ihr Leben lang – bis vor einigen Tagen – kein Rouge benutzt habe. Ja, tatsächlich, sie hatte es bis vor kurzem gar nicht im Hause gehabt, nicht einmal ein altes, kurz nach dessen Kauf dann verschmähtes und im Badezimmerschränkchen nach ganz hinten gerutschtes Döschen. Und dann erinnerte sie sich: Mit 18 sei sie als Au-Pair-Mädchen nach Frankreich gekommen. Sie habe damals im Herrenhaus einer adeligen, aber völlig verarmten Familie auf die beiden Töchterchen aufpassen müssen. Sie habe mitwohnen dürfen in dem riesigen, verwinkelten Anwesen in der Dordogne, welches schlecht beheizt war bis auf den repräsentativen salle de séjour. Meine Patientin kam, erzählend und erklärend, immer mehr in Fahrt, und die Erinnerungen purzelten. Seit dieser Zeit habe sie den Wert wollener Unterwäsche zu schätzen gelernt, da man darin weniger fror. Jeden Morgen, wenn die Kinder ihre Schulstunden hatten, war ihre eigene freie Zeit, und weil sie bei der – in ihren achtzehnjährigen Augen „uralten“ Großmutter, die einen eigenen Seitentrakt im Gebäude bewohnte, einen Stein im Brett hatte, erhielt sie von ihr um 9 Uhr jeden Morgen eine Stunde französische Konversation. So sei sie morgens ins Séjour gekommen, pünktlichst, um die ehrwürdige Dame nicht zu kompromittieren. Manchmal sei es vorgekommen, dass sie noch kurz warten musste. An diesen Tagen stand sie auf dem alten, abgewetzten Perserteppich etwas verloren für ein paar Minuten herum, mit Blick auf die Türe zum Wohntrakt der alten Hausherrin, die sich erwartungsgemäß bald öffnen würde. Ihr klängen die Worte der Hausdame noch im Ohr: „Warten sie noch einen Augenblick, Mademoiselle! Die Marquise legt noch das Rouge auf“.
Seither habe sie Rouge auflegen als etwas betrachtet, dass zum hohen Alter gehöre. Und jetzt… sei sie ja selber alt. Und da habe sie beschlossen, in die Stadt zu gehen, sich in einer Parfumerie beraten zu lassen („zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann“), und Rouge zu kaufen.
Meine hastig kreierte, gottlob nicht gleich hinausposaunte, Interpretation, dass sie das Altwerden auch weiterhin verleugnen wollte und nun zu neuen, zusätzlichen Mitteln griff, stimmte also gar nicht. Es war umgekehrt. Gerade nochmal gut gegangen, das Deuten!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen