f Psychogeplauder: Edith entdeckt die theory of mind (Empathie 3)

Samstag, 20. Juli 2019

Edith entdeckt die theory of mind (Empathie 3)


Stolperstein für Edmund Husserl
vor dem Haupteingang des Kollegiengebäudes I
der Universität Freiburg




Neben der Neurobiologie haben wir noch eine weitere Erkenntnisdisziplin für das zwischenmenschliche Verstehen, die Philosophie, zu berücksichtigen. Edith STEIN, eine Schülerin Edmund HUSSERL´s, des berühmten Begründers der Phänomenologie, hat diesen anderen Teil des Verstehens, der sich nicht auf die Entdeckung der Spiegelneuronen gründet, vertieft und in ihrer Doktorarbeit erläutert.
Nehmen wir als Beispiel die im Beitrag "Spieglein Spieglein" (22.06.2019) bereits zitierte Hochzeit der Freundin: ich könnte mich, die meint zu wissen, dass der Bräutigam die falsche Wahl ist, dennoch freuen: darüber, dass sich meine Freundin so freut. Das wäre etwas völlig anderes als die affektive Ansteckung, die ich durch die Vorfreude der Freundin erführe – es wäre eine Freude, die ebenso stark sein könnte, die aber nicht aus reflexartigem (gespiegeltem) Mitfühlen entspringt, sondern aus Einfühlung (griech. empatea). Sich einfühlen heißt: ich vermag mir genau vorzustellen, wie es dem anderen gerade geht. Es geht mir aber deswegen noch lange nicht selbst so. Denn diesen Typen würde ich selbst nie im Leben heiraten wollen! Edith STEINs Theorie der Einfühlungsvorgänge war eine frühe Variante der heute modernen affektbezogenen theory of mind. Die Einfühlung als fremdseelische Erfahrung setzt ein höchst subjektives Ich voraus, sie verwirft oder vergisst es nicht, sondern setzt es als Generator reflexiv erfassten Bewusstseins quasi an die Quelle der daraus folgenden Vergegenwärtigung des Fremden, der Appräsentation*. Das fremde Ich und sein Bewusstsein wird als mitdaseiend* (E. STEIN*) vergegenwärtigt und dieser wohlabgewogene, ohne Reflexion nicht mögliche Umstand sorgt dafür,  dass ich nicht das Erleben des anderen, wie ich es mir vorstelle, mit meinem eigenen Erleben verwechsle. Schwierig bleibt dieser Akt der Einfühlung dennoch: manchmal könnte ich nämlich falsch liegen, von mir auf andere geschlossen und somit deren Erleben verzerrt vergegenwärtigt haben. Dann fänden Analogieschlüsse statt nahe dem Motto: Ach, muss meine Freundin nervös sein, bestimmt hat sie Angst vor der Hochzeit mit dieser Niete!

Beide Prozesse sind also fehlerbehaftet: im einen Falle, der Aktivierung der Spiegelneuronen, überschreibt sich das eigene Erleben, es wird überwältigt vom fremden Zustand und als vermeintlicher eigener Zustand wahrgenommen, wobei ich wenig Möglichkeiten habe, diesen Vorgang in statu nascendi zu erfassen und gegebenenfalls zu korrigieren, mich also „abzugrenzen“. Im anderen, zweiten Falle könnte ich das fremde Erleben manchmal nicht ausreichend von meiner subjektiven Erfahrungswelt trennen, meine „Brille“ würde dann dafür sorgen, dass ich zwar in meinem Bewusstsein authentisch bliebe, aber zur Erfahrungswelt des Gegenübers einen entscheidenden Näheschritt nicht vollzöge und dies trotz intensiven Bemühens und Nachdenkens – möglicherweise sogar unter Zuhilfenahme von Supervision – nicht einmal bemerkte.

In diesem Spagat sich bewegen heißt, Therapeut sein. Ich finde, die analytisch geschulten Therapeuten haben einen großen Vorteil, den ihnen der gewählte theoretische Schwerpunkt beschert: Die Introspektion und Selbstreflexion sind besonders umfassende Bestandteile der angewandten Methode und der praktischen Ausbildung. Ich hoffe, dieser Vorteil wird in den gegenwärtigen, auf „Griffigkeit“, Allgemeingültigkeit und Simplifizierung getrimmten, oftmals aus pekuniären Gründen zusätzlich abgespeckten Ausbildungsgängen dennoch ausreichend genutzt: den Spiegelneuronen, die schnell und zuverlässig, aber auch ein bisschen einfältig und burnout-gefährdend daherkommen, das HUSSERLsche Appräsentieren an die Seite zu stellen. Das kann man üben. Ist aber auch eine ziemlich komplizierte Sache.



*  Stein, E., Zum Problem der Einfühlung, Edith-Stein-Gesamtausgabe Bd. 5, Freiburg 2008.  


Stolperstein für Edith Stein**Pixabay License

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen