f Psychogeplauder: Apothekerfragen

Mittwoch, 11. September 2019

Apothekerfragen


Zu  Risiken  und  Nebenwirkungen  fragen
Sie  Ihren  Partner  oder  ihren  Therapeuten!



Vor allem bei jenen Behandlungsmethoden, die man gelegentlich weich nennt, gibt es ja immer wieder mal, in unregelmäßigen Abständen, Wirkungsdiskussionen. Die Homöopathen, Marketingkünstler seit über 200 Jahren, sind schon früh drauf gekommen, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass etwas wirkt, wenn es so gar keine Nebenwirkungen hat.
Dieser Gedanke führte zur Geburtsstunde des Begriffs der sogenannten Erstverschlimmerung. Die Therapeuten waren da langsamer unterwegs in Sachen Methodenevaluation. Aber den Hinweis auf die Erstverschlimmerung fanden sie schlüssig, und tatsächlich konnte man diese Nebenwirkung auch ohne Schwierigkeiten der Psychotherapie zuordnen: Wo Sachen besprochen werden, wird etwas „aufgewühlt“, es kommt, um Patientensprech zu zitieren, „vieles hoch“ bzw., bei Jugendlichen oft zu hören, „poppt was auf“ und dadurch, so die verbraucherorientierte Erklärung, könnten sich in der Anfangsphase einer Psychotherapie durchaus die Symptome verschlimmern. Ansonsten galt die Psychotherapie genauso wie die Homöopathie nicht nur als weich und sanft und liebevoll zu allen Wesen, sondern auch als viel nebenwirkungsärmer als die konservativen Behandlungsmethoden, die fortan als Schulmedizin abqualifiziert wurden, was in etwa einen Bedeutungshof zwischen auswendig gelernter dümmlicher Fabrikware und geldgeiler verbrechensnaher Medizineridiotie abdecken sollte. Die Homöopathen haben es derzeit schwer, weil doch zunehmend Zweifel aufkommen an der ganzen Globulisache; dagegen schneidet die Psychotherapie, das muss man anerkennend sagen, in Sachen Wirkungsnachweis ganz gut ab; allerdings beginnt sich langsam, aber wie immer bei medial aufgepeitschten Entwicklungen sehr gewaltig, die Nebenwirkungsdebatte aufzubauen wie eine Riesenwelle – glaubt man Spiegel, Fokus & Co. in den Sommermonaten, die traditionell aufgrund der saisonal bedingten Gurkenernte für Psychotherapiekritik herhalten müssen.

Das mit der Erstverschlimmerung stimmt zwar, aber es gibt auch das Gegenteil: Die Patienten sind nach dem Erstgespräch kaum wieder aus dem Therapiezimmer draußen, da beobachten sie schon, wie ich dann beim Zweitgespräch beglückt erfahre, dass ihnen das „sehr gut getan hat“, mal alles zu erzählen. Da ich fest überzeugt bin, dass Psychotherapie hilft, geht allerdings kein Weg dran vorbei, sich die erwartbaren oder schlichtweg beobachtbaren Nebenwirkungen doch mal genauer anzuschauen. Da hätten wir als erstes Nebenwirkungen, die gar nicht aus dem psychotherapeutischen Prozess erwachsen, sondern lediglich aus der Tatsache, dass jemand eine Psychotherapie durchführt (und das öffentlich macht): Er wird in gewisse Schubladen gesteckt von seiner Umwelt, in unterschiedlichen Abstufungen kannst du dir das so vorstellen, wie wenn ein Profifußballer sagt, er sei schwul, eine Kanzlerin zugibt, sie habe bei ihrer letzten innenpolitischen Entscheidung viele Zweifel gehabt oder ein Pfarrer äußert, auch er kenne hoffnungslose Stunden. Böse Zungen nennen das Stigmatisierung, liebe Zungen halten es für ordnende Notwehr durch die verwirrte Umwelt. Bei den Lebens- Berufsunfähigkeits- und privaten Krankenversicherungen bedeutet „Achtung Psychotherapiepatient!“ etwa so viel wie „vermutlich schwierig,  später burnout–gefährdet und am Ende seines Berufslebens eventuell langzeitkrankgeschrieben“. Bei den Eltern eines Studenten bedeutet es „Was haben wir bloß falsch gemacht“ oder auch „Wird jetzt das Studium länger dauern und was kostet uns das?“ Bei der Bundeswehr bist du, salopp gesprochen, mit deiner Psychotherapie im Gepäck ein gedanklich augenblicklich ausgemustertes Traumaweichei und in Juristenkreisen berufslaufbahnmäßig sofort tot. Mir hat mal ein Richter gesagt, der extra weit zur Psychotherapie fuhr, „wenn mich hier ein Kollege sieht, ist meine Karriere beendet“ und ich habe mir sagen lassen, dass dies leider weder ein Einzel- noch ein seltener Fall ist, sondern die Regel darstellt. Das erklärt mir auch tröstlicherweise, warum mich ehemalige Patienten, die damals während der Psychotherapie Jurastudenten waren, grundsätzlich nie mehr grüßen, wenn sie mich später irgendwann mal irgendwo sehen. Zum Beispiel in einem Kaufhaus, bei den Isolierkannen. Ja, falls Sie, Frau Streitgickel, das hier lesen: Ich habe es damals gemerkt und nicht vergessen!

Dann gibt es noch die eigentlichen, von der psychotherapeutischen Behandlung selbst ausgelösten Nebenwirkungen. Das ist eine ganze Latte. Zum Beispiel kannst du als Therapiepatient Stress mit deiner Mutter kriegen, die sich in letzter Zeit als leidend präsentiert, dadurch ihre Schuldgefühle, bei dir was falsch gemacht zu haben, verdreht und dir deine Monopolstellung als Psychowrack streitig macht, indem sie ebenfalls Therapie braucht. Der gleiche Mechanismus der wundersamen Indikationsvermehrung ist auch bei Partnern zu beobachten. Eben noch psychoargwöhnische Therapiebelächler, sitzen sie plötzlich auch beim Therapeuten. Da haben wir einen großen Unterschied zu den somatischen Behandlungsfächern: Abgesehen von den Suchterkrankungen, deren partnerschaftliche Bewältigung darin bestehen kann, dass sie einfach auf Dauer mitsaufen oder mitkiffen, ist mir nicht bekannt, dass zum Beispiel die Behandlung eines Diabetes mellitus oder die Operation eines Meniskusschadens statistisch überzufällig häufig eine ebensolche Behandlung des Partners des Patienten nach sich zieht. Hier zeigt sich die –meiner Meinung nach in den Medien noch viel zu wenig gewürdigte– autochthone Vermehrungstendenz psychotherapeutischer Prozesse (AVPP®), von welcher, rein unternehmerisch betrachtet, so manche Internisten, Radiologen oder Pathologen noch was lernen könnten. Eine weitere Nebenwirkung, die soziale Isolation des Therapieopfers, ist nicht gewollt und tritt dennoch häufig ein, da es während der Behandlung merkt, dass nur der Therapeut es wirklich versteht und die anderen ja bloß seine angepasste Seite erleben wollen. Eine ernste Sache, der Therapeut wird zum Ersatzfreund, - nachbarn oder –vater und die beiden sind ein never losing team geworden gegen den Rest der unanalysierten naiven Welt. Besonders, wenn sich diese Nebenwirkung kombiniert mit Alkohol (beim Patienten und/oder Therapeuten) sowie depressiv-narzisstischen Persönlichkeitszügen, kommen wir hier zum Kombinationsrisiko des Ersatzlebens, ganz ohne Internet, hier wird virtuell gelebt und gelitten und der eigene Seelenabgrund zum Zentrum allen Strebens und Sehnens erhöht. Endet oft in Langzeittherapien und in Zweittherapien, damit die Schädigungen der Ersttherapie kompensiert werden können. An dieser Stelle soll eine weitere Nebenwirkung nicht verschwiegen werden, die sich insbesondere bei längeren Therapieverläufen einstellt, denen eines Tages die Krankenkassen die Gefolgschaft verweigern. Ich meine die finanzielle Abhängigkeit des Patienten, welche gelegentlich, in extremen Fällen, nur noch dadurch kompensiert werden kann, dass der Patient im Therapieverlauf selbst eine Ausbildung zum Therapeuten absolviert und sich in eigener Praxis niederlässt, um die Kosten seiner aufwändigen analytischen Langzeitbehandlung aufbringen zu können (AVPB® - autochthone Vermehrungstendenz psychotherapeutischer Berufe).

Bei den zwanghaften Patienten hast du keine Chance, zu einer Therapievereinbarung zu kommen, wenn du nicht Nebenwirkung für Nebenwirkung mit ihnen durchgehst und angesichts der Patientenrechte alle Eventualitäten einschließlich etwaiger Todesfallrisiken besprichst. Ich hatte mal einen Pädagogen, der brauchte statt der üblichen maximal fünf doch geschlagene sieben Probesitzungen, um sich mit mir und der Methode einig zu werden und seinen Therapieantrag für die Krankenkasse zu unterschreiben. Ich frohlockte allerdings zu früh, ähnlich wie diese Staatsmänner bei wichtigen Konferenzen, ergriff er sein Schreibwerkzeug sehr bedächtig, um nicht zu sagen, bedeutungsschwanger, und blickte noch einmal dramaturgisch zu mir rüber, bevor er verkündete: „Mit einem Vorbehalt: habe ich ein Widerspruchsrecht? Ich wünsche keinen Totalzugriff!“ Womit wir bei einer Nebenwirkung angelangt sind, die bei korrekter Therapie zwar gar nicht vorkommen sollte, dafür außerordentlich häufig vom zu Therapierenden gefürchtet wird: der Hirnwäsche. Vielleicht ließe sich das Risiko eines unfreiwilligen Reinigungsvorgangs minimieren, wenn die Patienten aktiv mitarbeiten in der Therapie. Ein durchaus origineller Gedanke!

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