Zuverlässig, aber nicht sehr kreativ |
Einer Arbeitsgruppe der Universität Parma war es vor Jahren gelungen, unseren emotionalen Resonanzboden für körperliche oder körpernahe Vorgänge in unserem Gegenüber zu erklären. Genauer gesagt, man fand in Form der sogenannten mirror neurons, der Spiegelnervenzellen, ein stoffliches, den Regel der neuronalen Erregung unterworfenes System unserer Wahrnehmung heraus, das immer dann aktiviert wird, wenn der Körper einer anderen Person, sei es durch Motorik, Mimik oder Schmerzanzeichen, Signale aussendet, die wir mit unseren fünf Sinnen aufnehmen können.
Ein sechster oder gar siebter Sinn sind nicht vonnöten – die Spiegelneurone funktionieren mittels elektrischer Impulse genauso wie unsere anderen Nervenzellen, die wir zum Denken, Steak braten oder Schlittschuhlaufen nutzen; telepathische Fähigkeiten sind dabei nicht im Spiel. Das Ende vom Lied dieser Fähigkeiten ist, dass unser Körper sich ähnlich (an)fühlt wie der Körper des anderen. Menschen, die wir uns „sympathisch“ fühlen, sind demnach solche, die jene Spiegelneuronen bei uns wachküssen, die uns geläufig und daher vertraut sind und die wir selbst oft in anderen wachrufen. Vielleicht kennst du das Phänomen unterschwellig, wenn du mit einem Menschen länger im angeregten Gespräch (vielleicht ja auch während einer Therapiestunde) zusammensitzt; irgendwann räkelt sich derjenige vielleicht oder schlägt ein Bein übers andere oder lehnt sich zurück – und du beobachtest dich dabei, wie du das kurz darauf unwilllkürlich auch machen möchtest, und oft dann auch machst. Die Betonung liegt auf „unwillkürlich“, die Spiegelneuronen werden ohne kognitive Anstrengungen oder das, was wir in der Psychotherapie oder Philosophie als Reflexion bezeichnen würden, tätig. Dieser Dieselmotor läuft und läuft, ob du das willst oder nicht. Allerdings musst du mit der betreffenden Person tatsächlich körperlich, wenn schon nicht im gleichen Raum, dann doch zumindest auf andere körpernahe Weise, also etwa akustisch, verbunden sein, denn ohne unsere aufnehmenden Sinne ist ein Informationszufluss nicht möglich. Als Internettherapeut kannst du also nicht auf deine Spiegelneuronen zählen. Beim Telefonieren kann es dagegen unter Umständen klappen, zumindest, wenn viel Sympathie dabei mitschwingt.
Die Wissenschaft streitet noch darüber, ob und wenn ja, in welchem Umfang man seine eigenen mirror neurons trainieren kann. Wie ich die Therapeuten so kenne, wären sie die ersten, die das Üben systematisch in Wochenendkursen versuchen würden. Ich hoffe, man kann es nicht trainieren. Übertrainierte Dinger würden einen vermutlich rasch zum Wahnsinn treiben. Sie würden zu einem identifikatorischen Mit(er)leben führen, das quasi grenzenlos wäre; da ohne geistige Reflexion oder Überlegung entstehend, würden sie sich außerdem auch nur schwer kontrollieren und noch schwerer einordnen lassen. Sympathisantentum ohne Ende.
Die mirror neurons bringen uns in einen Zustand des Mitfühlens (griech. sympatea); sie versetzen uns in einen Status – oder, sagen wir, zumindest in einen repräsentativen Ausschnitt desjenigen Status, der dem anderen eigen ist. Sie sind eine der Grundlagen für das unsichtbare jahrtausendealte Netz, das sich zwischen uns Menschen spannt und uns helfen, beruhigen, trösten, mitleiden lässt, ohne dass Worte gesprochen, psychologische Abhandlungen gelesen oder Grübelschleifen gedacht werden müssen. Neben den schweren, schmerzvollen Gemütsregungen bringen uns Spiegelneuronen aus Gründen kosmischer Gerechtigkeit auch positive Affekte: Wäre meine Freundin außer sich vor Vorfreude auf ihre eigene Hochzeit, wäre ich es auch, ich fieberte mit, als wär´ ich es, die vor den Traualtar mit dem Traummann träte, erlebte rosarote Ausnahmezeiten. Und das sogar dann, wenn ich persönlich den zukünftigen Bräutigam für eine Niete hielte und die Entscheidung zur Hochzeit für eine Katastrophe. So funktionieren die Spiegelneuronen: fix sind sie, aber ein bisschen dumm sind sie auch, indem sie die kognitiven Möglichkeiten ihres Besitzers ruck-zuck rechts überholen, bevor derjenige Luft holen kann.
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