Wie er leibt und lebt: Brie de Meaux Photo: "France Voyage" Führer Tourismus & Urlaub |
Neulich war ich wieder dort, am Käsewagen; ich brauchte ein Stück Eros. Wartend in der kurzen rechten Wartereihe, erhasche ich Fragmente des wahren Lebens; jetzt ist der vordere der beiden links wartenden Männer dran, was aber eine mittlerweile sich einfach in die Mitte der beiden Wartereihen postierte Frau ganz anders sieht. Als einziger Unsympath des fesselnden Schauspiels prescht sie vor, hat mehrere Artikel sich offenbar schon selbst gegriffen, vor ihrem Bauch minutenlang festgehalten wie wertvolle Beute, und legt jetzt alles auf einmal auf die Theke. Das ist meins! Und dann hätte sie noch gerne einen Brie de Meaux. Brie de Meaux, schreit die Verkäuferin beglückt. Der liegt oben auf der Theke, da kam die Unsympathin nicht selber dran, in Form einer riesigen Torte, mindestens 60 cm Durchmesser schätze ich, von der schon zwei Drittel fehlen. Brie de meaux, der König der Käse! Das hätt ich mir heut morgen noch net gedacht, ich glaub, der geht heut noch komplett weg! Die Messerspitze wird erneut ausgefahren, sie wolle ja net die Katz im Sack kaufe. Noch jemand? Die Verkäuferin, die Ruhe selbst, bietet jetzt gleich auch den anderen wartenden Kunden ein Spitzchen an. Ich werde überraschend keck und frage sie, ob der Gratis-Brie de Meaux-Verkaufsrausch als „Wartezeitverkürzung“ gemeint sei. Soo hätt ich es nicht ausdrücken wollen – aber gedacht wars schon so. Die Unsympathin macht ungerührt und humorlos den Abgang, alle atmen durch, natürlich nur in meiner Phantasie, aber die ist seit Minuten auf volles Rohr gedreht. Längst sind alle in den Bann der Käseverkäuferin gezogen und keiner will, dass er der nächste ist, weil er dann nach seinem Einkauf ja gehen müsste und diese genialische mütterliche Mischung aus Kasernenhof und ehrenamtlicher Armenspeisung gegen seinen Willen verlassen. Also zieren sie sich: die beiden Linksaußen sagen plötzlich, also ihrer Meinung nach sei jetzt der vor mir stehende Rechtsaußenmann dran. Gottlob gibt es noch eine kurze Unterbrechung, bevor das geklärt wird, weil eine auffällig rotgefärbte und auch sonst psychiatriereif aussehende Passantin reinruft „Entschuldigung, haben sie heute den Eingelegten?“ Die Verkäuferin ist untröstlich, den hab ich heut net dabei! Der weibliche Käsejunkie macht sich sofort wieder aus dem Staub, ein anderer Stoff kommt offenbar für sie und ihren korallenrot verhüllten Körper nicht in Frage. Weiter geht’s, man hat sich geeinigt, der erste der beiden Linksaußen ist jetzt dran. Er möchte auch Brie de Meaux, die Verkäuferin walzt beglückt Richtung anderes Ende des Wagens, das Dampfschiff wackelt, sie jubelt. Brie des meaux, der König der Käse! Nun darf der vor mir wartende Herr seinen Einkauf tätigen. Er geht einen Schritt vor, als wolle er in den Wagen reinkriechen, und sagt mit leiser bebender Stimme: Haben sie heute den Siebzigprozentigen? Die Verkäuferin ist zerknirscht, nein, den hab ich heut net dabei! Aber der Mann gibt noch nicht auf. Er wolle den Siebzigprozentigen, weil der innen so schön cremig ist. Die Verkäuferin macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Den Sechzigprozentigen hätt ich da, der ist auch schön cremig innen drin, da können sie sich drauf verlassen! Der Einkaufende traut sich was, er nimmt ihn, den Ersatz! Das Ganze hat so was Halbseidenes an sich wie der Kauf der amerikanischen Ausgabe des Playboys in den Siebzigern, den gab´s nur unterm Ladentisch deponiert. Als nächstes wäre ja eigentlich der zweite Linksaußen dran, aber es geht hin und her, bitte nach ihnen, alle Menschen werden heute Brüder.
Ich habe eine Freundin, die hat als einzige negative Eigenschaft so eine gewisse Art von Kultursnobismus, und sie behauptete Tage später, es gebe Brie de Meaux und Brie du Mont; ich äffte die Aussprache der Verkäuferin nach, um hier dem Brie de Meaux die pole position zu sichern, aber meine Freundin misstraute der Französischqualität von Käseverkäuferinnen und googelte lieber. Dann die Gewissheit: der Brie de Meaux ist´s, welcher der König der Käse genannt wird. Dem französischen Politiker Talleyrand war es auf dem Wiener Kongress 1815 zu angestrengt, lust- und freudlos zugegangen, so dass er etwas tun wollte zur Auflockerung und auf die ja echt französische Idee kam, einen Käsewettbewerb unter allen 30 beteiligten Ländern zu organisieren. Gewonnen hat… das denkst du dir, und du denkst richtig, die Käseverkäuferin hat´s tatsächlich gewusst! Talleyrand, damals Napoleons Außenminister, hatte einst der katholischen Kirche gedient und sich mit dieser Aktion endgültig als Träger von Seidenstrümpfen und Pionier phantasiereicher psychohygienischer Maßnahmen in die Herzen des neuen Europas gekäst. 🙏
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