f Psychogeplauder: Halber Praxiswitz - Staffel 1 Episode 1: Wie alles begann

Donnerstag, 24. Juni 2021

Halber Praxiswitz - Staffel 1 Episode 1: Wie alles begann

 



Episode 1: Wie alles begann

Es begann eigentlich ziemlich leichtfüßig, ich würde sagen, beinahe poetisch; nachdem ich einen schwierigen Herbst sowie einen schlimmen Infekt hinter mich gebracht hatte, war ich mit dem Mann meines Herzens kurzerhand über die Jahreswende in ein schönes Hotel gefahren. Dorthin, in die Berge, wo die Welt noch in Ordnung ist. Die Besitzer hatten sich für die Silvesterfeier etwas einfallen lassen. Kurz vor Mitternacht wurden Luftballons verteilt und kleine Zettel mit Befestigung an den Ballons, auf die jeder einen besonderen Wunsch für die Zukunft schreiben sollte. Ich fand´s erst kindisch, aber als die anderen Hotelgäste bitterernst loslegten, wollte ich plötzlich auch mitmachen, und schrieb auf den Zettel, ich wolle mir erlauben, in zwei Jahren, also wiederum ab dem Jahreswechsel, weniger zu arbeiten, künftig nur noch eine Privatpraxis führen und mich mehr in der Psychotherapeuten-Ausbildung und im Cellospielen engagieren und dafür im kommenden Jahr die Weichen stellen. 
So begann mein Vorsatz, meinen Kassensitz zu veräußern. Sekt, Glückwünsche für´s Neue, Knallfrösche und Feuerwerk.
Im folgenden Jahr knüpfte ich vorsichtige Kontakte: eine sehr erfahrene Ärztin meldete Interesse an der Übernahme an, außerdem eine Psychologin, die ich aus der Ausbildung schon länger kannte und die quasi um die Ecke wohnte. Das erste Jahr verlief also noch relativ ruhig – freilich hörte man ab und zu Schauergeschichten und Chaosmeldungen von der Zulassungsfront für Kassensitze, aber ansonsten dachte ich mir, mit akribischer Information und Organisiertheit könne ich es bestimmt weit bringen. Mein Vater hat mir, als ich acht war, ins Poesiealbum geschrieben: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

Zum nächsten Jahreswechsel schwante mir, dass ich evt. etwas aktiv tun müsste für meinen nun ein Jahr alt gewordenen Silvesterwillen; denn es war in dem ganzen vorangegangenen originellen Silvester-Pauschal-Arrangement bei Januarlicht betrachtet etwas unklar geblieben, an wen denn die Luftballons gerichtet waren und ob die irgendjemand im kosmischen Off bearbeiten würde oder doch nicht. Ich las mich daher auf der Website der kassenärztlichen Vereinigung artig in die Materie ein, machte mir einen genauen Zeitplan, was ich wann genau tun müsse, und führte Ende Januar ein erstes Telefonat mit dem Justiziar. Der war total nett, schickte mir ein knapp 100seitiges Heft zu mit dem Titel „Veräußerung und Erwerb einer Vertragspraxis“ und sagte, ich könne, wann immer ich wolle, ihm auch eine Mail schreiben, wenn es noch Fragen gäbe.

Fragen? Ich fand alles ziemlich klar. Es ging um die Frage, ob denn mein Praxissitz nachbesetzt werden dürfe oder nicht und wenn ja, als ganzer oder halber Sitz. Das würde der Zulassungs-Ausschuss entscheiden. Und wenn ja, würde ich sogar meinen Sitz weiterverkaufen können; die ortsüblichen Preise versprachen hier einen Betrag, mit dem man sich locker einen Opel Astra GTC 1.7 als Neuwagen leisten könnte. Allerdings nicht als Twin Top oder Turbo Cosmo Modell. Und wenn nein, bekäme ich trotzdem eine Entschädigung in Form des Verkehrswerts; die lag zwar niedriger, also da hätte ich mit dem Gegenwert eines sechs Jahre alten Gebrauchtwagens des gleichen Modells mich zufriedengeben müssen.

Zu diesem frühen Zeitpunkt fragt mein Lebensgefährte etwa einmal pro Woche sanft nach, ob ich denn wirklich sicher sei, dass ich meinen Kassensitz aufgeben wolle. Schließlich sei sowas unwiderruflich. Das macht mich etwas mürbe. Ich erteile ihm nach einigen Monaten ein Verbot, weiter diese Frage zu stellen. Woran er sich prompt und erleichtert hält. 

Ich hatte schon einige Monate nach dem Silvesterbeschluss der erfahrenen ärztlichen Kollegin W. Bescheid gegeben, die einen Praxissitz suchte und die ich schon länger kannte. Die rief ich jetzt an. Absolut aussichtsreiche Kandidatin: jahrzehntelange Erfahrung, super Kenntnisse, Bereitschaft, sich Praxisräume zu suchen.

Laut Empfehlungen sollte man den Antrag beim Ausschuss sechs bis neun Monate vorher stellen; da die Relevanz von Psychotherapeutenpraxen, was sechs- bis siebenstellige Beträge für Gerätschaften und für zu übernehmende Arbeitsverträge eines zwanzigköpfigen Personalstabs angeht, sich ja dann doch eher beschaulich anfühlt, denke ich zunächst, sechs Monate sollten reichen. Aber dann denke ich, man kann nie wissen, und beschließe die Neun-Monate-Vorher-Antragsvariante. 

Tag 1:
Um ehrlich zu sein, ich reiche den Antrag schon 9 Monate und 20 Tage vorher ein.






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