f Psychogeplauder: Halber Praxiswitz Staffel 2 Episode 4: Davon wusste ich nichts

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Halber Praxiswitz Staffel 2 Episode 4: Davon wusste ich nichts

 



... was bisher geschah:

Ich habe physisch und psychisch wider Erwarten das abendliche Gespräch mit Bewerberin Schaun-wir-mal überlebt und befinde mich auf dem Wege der Besserung. Bis zur avisierten Sitzung am 6. Dezember habe ich sogar ein Gefühl, nun sei alles von meiner Seite getan. Zwei Vorverträge liegen auf meinem Schreibtisch, einer mit der fallen-in-love-Frau K. und einer mit dem jugendlich -attraktiven Psychologen F.. Ich harre, erstmals seit Monaten annähernd tiefenentspannt, der Dinge. Und freue mich auf den Nikolaus.


Tag 219:

Die beinahe aussichtslose Bewerberin K. ruft mich notfallmäßig an. Weil ihr Name auf dem Display blinkt, gerate ich ins Wallen und hebe sofort ab. Sie habe eben mit jemandem vom Ausschuss telefoniert, der sei ihr nicht sehr kompetent vorgekommen, habe aber durchblicken lassen, dass es eigentlich schon zu spät für Bewerber sei, die Anträge für die Dezember - Sitzung zu stellen. Ich verstehe das nicht. Auf der Homepage steht vier Wochen vorher, mündlich heißt es häufiger in der letzten Tagen, mmhhhh., aaaaah, uuuuh, besser sechs Wochen vorher. Wir haben aber noch sieben Wochen Zeit.

Ich verspreche, das mit dem Ausschuss zu klären. Hoffe inständig, dafür nicht mit der gewissen Dame vom Ausschuss reden zu müssen, die mir diese Pampigkeits-Szene gemacht hatte. Es scheint zunächst zu klappen. Es ist nämlich eine andere Dame dran, die ist wirklich sehr freundlich. Kann mir aber nicht weiterhelfen und räumt das Telefonierfeld. Sie werde mich mit einer Kollegin verbinden. Ich ahne Schreckliches und es wird nach wenigen Sekunden traurige Gewissheit: der Drache ist dran. Das sei völlig egal, wann die Bewerber ihre Anträge auf meinen Sitz stellen. Man habe eine Flut von Anträgen. Mein Praxissitz werde mit Sicherheit nicht verhandelt im Dezember. Das gehe erst im Februar. Außerdem hätte ich ja den Verzicht noch gar nicht erklärt. Ich erleide eine akute Schwindelattacke. Versuche sie trotz des Schwindels dreimal zu überzeugen, dass ich den Verzicht erklärt hätte. Sogar mit Formular. Sie sagt genüsslich, ich hätte nur eine Absicht erklärt, aber nicht den Verzicht. Ich gebe nicht auf und bitte sie, das nochmal nachprüfen, das könne gar nicht sein. Sie lässt mich viereinhalb Minuten bei einer Mozartsinfonie (immerhin in Dur) in der Leitung, um meine Akte zu holen. Aha, bisher hat sie also offenbar nur geraten und meine Daten gar nicht eingesehen, sondern aus der Hüfte geschossen. Nachdem der Mozart mich ein bisschen beruhigt hat, kommt sie wieder an den Apparat und sagt, ach sie sind das, bei Ihnen wurde das ja erstmal abgelehnt. Das soll wohl heißen, Entschuldigung, ich sehe gerade, Sie haben doch den Verzicht erklärt. Ich frage unter Aufbietung letzter Kräfte, ob es denn okay sei, dass mein Sitz dann erst verhandelt würde, wenn meine Zulassung dann schon sieben Wochen abgelaufen wäre. Sie beleidigt mich, das mag ich jetzt hier nicht ausführen, wo kommen wir denn da hin. Aber sinngemäß geht es darum, dass sie wisse, wie sie ihre Arbeit zu tun habe. Nach dem Auflegen fällt mir ein, dass die beiden Vorverträge nun ja ihre Gültigkeit verlieren, weil sie für den 6. Dezember abgefasst wurden. Ich muss sie neu schreiben. Außerdem wird mein Sitz jetzt zu einem Zeitpunkt übergeben werden, an dem er eigentlich schon seit mehreren Wochen hätte übergeben sein sollen. Ich verstehe das nicht, beschließe aber, einen Gin zu trinken. Obwohl es noch nicht mal 12 Uhr mittags ist. Doch wenn selbst die Queen Mum das immer machte, obwohl sie bestimmt nie einen halben Sitz verkaufen musste, dann ist das wohl okay.


Tag 228:

Ich bin auf dem abendlichen Nachhauseweg von meiner Praxis und überquere einen breiten Platz. Da winkt mir von weitem eine Psychologin zu, die ich privat kenne. Ich winke zurück und eigentlich möchte ich weitergehen. Aber sie erwischt mich doch und sagt zu meinem Erstaunen, ob sie mir irgendwie helfen könne. Sie sei nämlich ein Mitglied des Ausschusses. Ich fühle mich verfolgt. Das sei ja alles ziemlich schwierig bei mir (warum?), jedenfalls habe sie das so grob orientierend in Erinnerung. Ich berichte ihr, dass ich zwei Bewerber hätte, einen quasi um die Ecke und eine in 1400 Metern Entfernung. Sie meint, bei der zweiten, aaaaah, mhhhhhm, das könne schief gehen. Ich solle mich doch mal melden. Sie wolle mir doch so gerne helfen! Ich frage sie, ob es denn sicher sei, dass ich eine Praxis zum 1.1. übergeben könne, die erst sieben Wochen später im Nachhinein verhandelt würde. Aaaah, mhhhhm, so ganz sicher wisse sie das nicht. Im Weggehen sagt sie, ich hätte doch sicher die Vorverträge zur Prüfung schon dem Ausschuss geschickt? Nein, habe ich nicht. Davon wusste ich nichts.


Tag 229:

Ich kopiere gleich frühmorgens die Vorverträge, entwerfe ein Anschreiben und schicke sie an den Ausschuss.


Tag 275:

Die Adventszeit naht. Ich habe in der Zwischenzeit mehrere Drohanrufe bekommen von Bewerbern, mit denen ich keinen Vorvertrag habe. Sie hielten sich alle für sehr aussichtsreich, hätten zwar noch keine Räume, aber das könne sich stündlich ändern. Und behielten sich daher vor, bei der Sitzung im Ausschuss im Februar zu erscheinen. Außerdem habe ich die Vorverträge mit den beiden psychologischen Bewerbern K., du erinnerst dich, meine 1400 -Meter-Wundenleck-Selbsthilfe-Schwester, und F., dem total attraktiven Steuerspartrick-Kollegen, nun abgeändert, weil ja die Sitzung des Ausschusses vertagt worden war und die  eingetragenen Termine nicht mehr stimmten.


Tag 276:

Anfang Dezember treffe ich doch tatsächlich in der Stadt erneut zufällig auf die Psychologin vom Ausschuss und ihren Mann. Wir begrüßen uns freundlich und sie fragt, ob den am 6.12. mein Sitz im Ausschuss dran sei. Ich frage mich, warum sie das nicht selber weiß, sie sitzt doch im Ausschuss? Oder spioniert sie mich etwa aus, im Auftrag des Drachens? Ich unterdrücke die Frage und sage „nein“. Sie macht eine denkerisch-philosophische Handbewegung und fasst sich an den Kopf. Da war doch, da war doch was…. Irgendetwas sei bei mir schwierig. Das Dumme ist, es fällt ihr nicht ein, was. Irgendetwas sei da …. Nicht dass es noch in letzter Minute schiefgeht. Ich solle sie doch mal anrufen.


Tag 278:

Die berufspolitisch engagierte Psychologin vom Ausschuss hat mich mittlerweile weichgekocht und ich rufe sie an. Es ist ihr gottlob wieder eingefallen. Sie meint, es sei schwierig, dass ich keine Räume mit anbiete. Angesichts der zahlreichen Kolleginnen, die auch keine Räume anboten und ihre Sitze erfolgreich verkauft haben, frage ich mich, warum das bei mir so extrem problematisch sei. Ich behalte die Frage für mich. Vielleicht kursieren ja Photos meiner Räume ohne mein Wissen im Netz und der Zulassungsausschuss hat schon heimlich beschlossen, dass diese schönen Räume nicht mir allein gehören dürfen. Als ich ihr erkläre, dass meine Räume nicht gemietet seien, sondern mir gehören, so dass ich da selbst darüber entscheiden könne, gratuliert sie mir und sagt, dann könne ja nichts passieren. Dankbar lege ich auf mit dem Gefühl, dass ich jetzt endlich den vollständigen Durchblick habe.



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