... was bisher geschah:
Mittlerweile fühle ich mich mit allen Praxisabgabewassern gewaschen; kenne eine Psychologin, die Mitglied im Ausschuss ist, habe zweimal gehört, dass bei mir irgendetwas schwierig sei, habe artig die Vorverträge verschickt und die neuerliche Verschiebung der Ausschuss-Sitzung hingenommen wie ein buddhistischer Mönch in tiefer Versenkung. Außerdem habe ich eine Flasche Gin gekauft, auf Vorrat. Obwohl die angebrochene noch zu Dreivierteln voll ist. Man möchte gerüstet sein.
Tag 278:
Die ehrliche, aber relativ chancenlose Psychologin K. meldet sich mit einer langen E-Mail und berichtet, wie ihre alternative Bewerbung gestern in der Ausschusssitzung vom 6. Dezember gelaufen ist. Sie habe, erwartungsgemäß, den Sitz nicht bekommen. Aber sie hoffe immer noch auf meinen. Der sei ja wohl im Februar im Ausschuss dran. Zu ihrem Erstaunen habe sie aber den jugendlich-attraktiven Psychologen F. gestern dort gesehen. Erwartungsgemäß hat sich also F. auch auf andere Sitze beworben, es gebe Gerüchte, auf welche.
Tag 315:
Es ist Mitte Januar. Inzwischen habe ich den Justiziar, also den Bruder-im-Geiste-Justiziar vom Ausschuss, angerufen und gefragt, ob den meine Vorvertragsentwürfe eingegangen seien. Die hätte ich vor etwa zehn Wochen geschickt. Er stöhnt, ganz gegen seine sonstige Art, und berichtet mir, dass unheimlich viel Papier auf seinem Schreibtisch liege. Er braucht eine Weile und dann meint er, ja die Vertragsentwürfe seien da. Da bin ich beruhigt. Aber da ich mittlerweile eine grenzwertig paranoide Psychose entwickelt habe, befürchte ich, er tut nur so, als habe er die Verträge gesehen. Naja, ich lasse ihn im Glauben, dass ich ihm glaube. Ob ich denn mit einer Antwort rechnen könne. Ja, das könne ich. Aber es sei im Moment so viel zu tun. Es läge so unheimlich viel Papier bei ihm herum. Also, wenn er so drüber sehe, finde er, das sähe ja schon recht vollständig aus.
Tag 324:
Heute habe ich Post vom Ausschuss. Ich hoffe, es ist die Einladung zur Sitzung am 21.Februar. Aber es kommen mir aus dem Umschlag nur die Kopien meiner eigenen Vorverträge entgegen gepurzelt, die ich hingeschickt hatte. Im Begleitschreiben steht, dass der Ausschuss zu viel zu tun habe und sie nicht prüfen könne.
Tag 330:
Es ist Anfang Februar. Ich habe gerade kurz vor Geschäftsschluss die neu abgefassten für die mehrfach verschobene Sitzung am 21. Februar abgeänderten Vorverträge je drei Mal im Copy Shop hektisch ausgedruckt und überquere eilig einen Zebrastreifen, als meine top gestylte und jugendlich-frisch aussehende Therapeutenfreundin aus der Kaffeetrinkrunde mir entgegenkommt. Auf halber Strecke beschließt sie, mit mir zurückzulaufen. Mir ist das unangenehm, das sieht ja so aus für die anderen Passanten, als helfe sie einem alten Mütterlein über die Straße. Du siehst aber erschöpft aus! sagt sie und fuchtelt mit einem frisch manikürten Finger vor meiner Nase herum. Was ist los? - Mein halber Praxiswitz, röchele ich. Sie will sich kurz über den Versprecher amusieren, merkt dann aber, dass das Amusement nur auf ihrer Seite ist. Sie fuchtelt noch mal und sagt dann, etwas mitleidig geworden: Hat es denn endlich geklappt? Ich röchele und sehe sie starr an.
Tag 332:
Ich bekomme Post vom Ausschuss. Endlich erhalte ich schwarz auf weiß den Termin mitgeteilt, an dem mein halber Sitz verhandelt werden wird. Dazu eine offizielle Liste der Bewerber: nun sind es die beiden treuen Kollegen geworden: der jugendlich attraktive F. und die chancenarme total ehrliche Kollegin K., sonst steht keiner drauf, auch nicht der Einen schönen Tag noch– Kollege.
Tag 333:
Ich bekomme nochmal Post vom Ausschuss. Da ist jetzt richtig Druck drauf! Diesmal gibt mir der Ausschuss erstens die Information, dass er keine Zeit habe, die Vorverträge zu prüfen, und zweitens die Anweisung, ein Formular auszufüllen, auf dem ich bestätige, dass ich mit den Bewerbern einig geworden bin. Und ich muss den Tag der gewünschten Praxisübergabe eintragen. Ich trage den Tag nach dem 21.02. ein. Die chancenarme Kollegin K. macht mich darauf aufmerksam, dass sie ja dann, im Falle des Zuschlags, vertragsbrüchig würde, weil sie den Kaufpreis nicht innerhalb von 12 Stunden überweisen könne. Sie habe ihre Bank gefragt. Sie schlage den 1. März vor.
Tag 334:
Ich bekomme kalte Füße mit dem 1. März. Seit dem wenig adventlichen Telefonat mit dem Drachen, welches eine Schwindelattacke ausgelöst hatte, habe ich Flashbacks zum Thema. Es kommt mir komisch vor: im Grunde bin ich schon enteignet, ein Rücktritt vom Vertrag wegen Nichtzahlung des Kaufpreises ist als Passus lächerlich, weil meine Praxiszulassung ja sowieso schon abgelaufen ist. Der Drache sagte ja, er mache seine Arbeit lange genug. Was ich denn hätte. Wie lange meine Praxisaufgabe schon her sei, sei nicht entscheidend. Entscheidend sei das Datum des Antrags und nicht, wie lange das Verfahren dann laufe. Ich gehe trotzdem zu einer esoterischen Wünschelruten- und Pendelspezialistin. Ich finde durch Befragung meines höheren Selbst heraus, dass ich doch auf dem 22.02. als Übergabedatum bestehen sollte. Drachenauskunft hin, Drachenauskunft her. Die chancenarme Psychologin K. würde mich bestimmt nicht hängen lassen mit der Kaufpreiszahlung. Und der jugendlich-attraktive Psychologe F.? Sparen wollte er schon immer, das war offensichtlich. Ich beschließe, in die Einigungsformulare den 22.02. einzusetzen und nicht den 01.03. oder gar 01.04. Was der Psychologin K. am liebsten wäre, weil sie ja vielleicht noch den Verlegungsantrag für ihre Praxis abwarten muss. Denn die 1400 Meter zu ihren jetzigen Praxisräumen sind aaaah, iiiih, ääääähm, unsicher.
Tag 337:
Schon wieder Post vom Ausschuss. Die Signalfarbe des mittlerweile dritten Einwurf-Einschreibens tut mir nicht gut. So ein Orange, das eher zu kackbraun tendiert als zu vitalem Rot. Es sind über sieben eng bedruckte Seiten. Da steht drin, dass ich jetzt keine Praxiszulassung mehr habe. Und welchen Ämtern und Adressen ich das bitte mitteilen soll (sieben). Dass ich jetzt raus bin aus dem Vertragsarztdasein, game over. Ich lese aufmerksam. Da steht doch tatsächlich, mittendrin im amtlichen Redundanzjargon: dass die Befürwortung einer Nachbesetzung nur sechs Monate ab Befürwortungsdatum gilt. Ich merke, dass mir flau wird, noch bevor mein Großhirn den Taschenrechner rausgeholt hat. Ich rechne und rechne. Die Bewilligung war am 30.08. des Vorjahres. Die Ausschusssitzung am 21.02. ist also genau sieben Tage vor Ablauf der Frist. Ich würde sagen, Punktlandung. Und das auch noch blind. Der Drache hat´s falsch gesagt. War es Absicht? wollte sie mich leiden sehen? Oder war sie mal vor 30 Jahren bei mir in Psychotherapie gewesen und ich hab´s vergessen, und sie rächt auf brutalste Weise? Na ja, denke ich, kann passieren. Ich vergesse an diesem Tag, eine Mittagspause zu machen.
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