berufsrechtliche Gefahren bergendes Päckchen |
Es gibt Fälle, da versuchen
sie, dich zu bestechen. Wenn du widerstehst, fühlst du dich hinterher trotzdem
nicht immer wie ein aufrichtiger tapferer Krieger des Lichts; manchmal geht es
dir sogar noch schlechter, als wenn du auf den deal
locker eingegangen wärst.
Sie kam aus einem Land hinter
dem Bosporus, lebte seit über zehn Jahren hier, nachdem ihr Mann sich in der
Heimat politisch zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Wie viele ihrer
Landsleute war sie intelligent, im Gespräch sehr wach, hatte aber hier in
Deutschland sich auf Heim und Herd zurückgezogen und vier Kinder erzogen, ihr
Deutsch war anstrengend, mit wenigen einfachen Worten komponiert, unterbrochen
von häufigem Lächeln. Ihr Ehemann hatte mit einem mobilen Schlüsseldienst eine
beachtliche materielle Existenz aufgebaut. Fünf Jahre, bevor ich sie
kennenlernte, hatte sie sich auf einer der Fahrten mit dem rollenden Handwerkerparadies, bei denen sie gelegentlich ihren Mann begleitete, einen
komplizierten Beinbruch zugezogen, nachdem sich die Anhängerkupplung gelöst und
dies einen Unfall nach sich gezogen hatte. Ihre Mutter war aus der Heimat
eingeflogen, um sich vorübergehend um die teilweise noch
kindergartenpflichtigen Kinder zu kümmern. Aus diesem verwandtschaftlichen
Notfalleinsatz war dann ein fünfjähriger Aufenthalt geworden, und weder Mutter
noch Tochter wollten, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehrt, wo sie zwar
eine Eigentumswohnung hatte und mehrere weitere ihrer Kinder lebten, wo sie
aber sich mittlerweile fremd fühlen würde. Außerdem seien sie dort nicht mehr
gut auf die Mutter zu sprechen, da sie für die dort anfallende Kinderbetreuung
ausgefallen war.
Die Eingangsszene machte mich
skeptisch, denn sie zerrte als erstes, nachdem sie sich gesetzt hatte, einen
Leitzordner aus ihrer mitgebrachten Tragetasche und legte ihn auf den kleinen
Tisch zwischen uns. Sie schilderte klagend ihre Beschwerden, nämlich dass sie
nicht einschlafen könne und tagsüber dann oft so müde sei, kraftlos, und das
schon seit Jahren. Auffallend war, dass sie noch nie deswegen eine Behandlung
gemacht hatte, und der in mir erwachte Columbo vermutete, dann könne es ja wohl
bisher nicht so schlimm gewesen sein. Jetzt kam der Ordner ins Spiel: sie
zeigte mir einen mehrjährig sich hinziehenden Schriftwechsel zwischen ihrem Anwalt
und den deutschen Behörden, in dem es um die Ausweisung der illegal hier
lebenden Mutter ging. Es müsse dringend etwas geschrieben werden, damit den
Behörden klar werde, dass ihre Mutter hier einspringen müsse, da sie selbst zu
krank sei, um ihre Familie zu versorgen. Das habe jedenfalls die Hausärztin
gesagt und ihr dringend empfohlen, zu mir zu kommen. Ich stiess innerlich einen
Fluch über die Hausärztin aus und hörte weiter zu. Es wurde klar, dass ich hier
nicht als Psychotherapeut, sondern als Depp gefragt war. Ihre Beschwerden
schienen mir dennoch glaubhaft und ich beschloss, ihr einerseits klar zu
machen, dass es ein Attest nach ihren Wünschen nicht geben könne, dass ich aber
ihr gerne Gespräche anböte, wenn sie das wolle. Sie war enttäuscht, blieb aber
freundlich. In den nächsten Wochen taute sie auf, berichtete, dass es ihr
eigentlich zu langweilig sei und sie vermute, dass sie deswegen nicht schlafe,
weil sie nachts gar nicht müde sei. Ihre Mutter koche, die Kinder seien sehr
selbständig, ihr Mann arbeite und kümmere sich um den Schriftkram mit dem
Anwalt. Nachdem sie immer mehr Vertrauen gefasst hatte, erzählte sie mir eines
Tages, dass sie eigentlich gerne arbeiten würde, zum Beispiel halbtags in einer Kinder-Boutique, das würde ihr Freude machen. Sehen sie, sagte ich dann in solchen
Momenten, ich kann doch nicht schreiben, dass sie schwer krank sind, und
zugleich würden sie gerne arbeiten. Aber sie fragte immer wieder nach, ob ich
nicht doch … ein Attest …., so etwa in Vier-Wochen-Abständen, meistens mit
hartnäckigem Hinweis auf ablaufende Fristen, die aus mir unerfindlichen Gründen
aber nie von den Behörden eingehalten wurden. Ich wiederholte dann immer
tapfer, wenngleich mit zunehmend schlechtem Gewissen, meinen Kurzvortrag über
die Ausstellung unrichtiger Bescheinigungen. Ich vergaloppierte mich in immer
neuen dramaturgisch aufpolierten Begründungen, sprach in meiner Not sogar von Berufsverbot,
was mir drohen könne. Sie bekam in solchen Momenten wagenradgroße Augen, blieb
orientalisch-höflich und diffus, bedauerte mein soeben heraufbeschworenes
berufliches Dilemma, um dann aber am Ende meiner Ausführungen dann doch noch
einmal zu fragen, könnten sie nicht doch …. eine kurze Bescheinigung… Ich liess
mich sogar zu einem Telefonat mit einem ausserordentlich netten Rechtsanwalt
überreden und als ich ihm sagte, das mit dem Attest ginge leider nicht, schien
er zu meiner Verwunderung keinerlei juristischen Kampfeswillen zu entwickeln,
sondern wirkte sogar erleichtert.
Die Sache mit dem Kinderklamotten-Verkaufen war natürlich ein Fortschritt, denn sie litt darunter, dass
das Ego ihres Mannes es nicht zuliess, dass sie selbst sich aktiver ins Leben
warf, und all ihre Bekannten in ihrem konservativen Umfeld hätten darüber
gemunkelt. Aber ehrlich gesagt war diese Verkäuferinnenangelegenheit auch
eine columbomäßig geschickt aufgestellte Falle gewesen zur endgültigen Klärung,
ob ich ihr unrecht tue und eine schwere Krankheit übersähe.
Dann kam Weihnachten. Sie kam
zum Termin und überreichte mir gleich zu Beginn feierlich und nicht ohne Stolz
einen über-dimensionierten, goldfarben glänzenden Karton mit brauner
Riesenschleife. Ich war überrascht, die aufgepimpte Verpackung passte so gar
nicht zu ihr. Ich durchkämmte in Gedanken die Berufsordnung und überlegte kurz,
ob ich das repräsentative Geschenk annehmen könne. Danach stellte ich das etwas
groß geratene, protzige Paket auf den kleinen Tisch, genau dorthin, wo vier
Monate zuvor der Aktenordner erstmals Platz erhalten hatte. Ab diesem Zeitpunkt
stand es auch irgendwie zwischen uns. Am Ende der Sitzung kam ihre Frage:
messerscharf abgezirkelt, eine Minute vor Stundenende, wie ein Beil in
die schon wabernde Feststimmung: ob ich ihr nicht doch, spätestens bis Mitte
Januar … ein Attest …. ich blieb eisern,
was mich ungeheuer anstrengte, und ich ahnte, das war jetzt sehr ungünstig. Die
nächste Stunde sagte sie ab wegen Kopfweh. Danach ist sie nie mehr gekommen.
Nach unserem Gespräch packte
ich das Ungetüm aus. Es enthielt eine Riesenmenge Ferrero Küsschen Pralinen. So einen ausufernden Schokoberg habe
ich noch nie gesehen. Vermutlich gibt es ja diese Packungsgröße nur im
arabischen Raum – vielleicht in den dortigen duty free shops.
Ich mag keine Ferrero Küsschen.
Jedes einzelne Küsschen ist so akkurat eingewickelt,
als wäre es Träger eines wichtigen Briefgeheimnisses. Das Kauen macht Arbeit
wegen der großen Nussstücke. Und danach, wenn man erschöpft das Auswickeln und
Kauen hinter sich gebracht hat, hängen einem massenweise zerkleinerte
Nussstückchen zwischen den Zähnen.
Hoffentlich habe ich dir jetzt
glaubhaft dargelegt, dass ich kein einziges Küsschen gegessen habe. Das zur Ehrenrettung.
Doch nicht nur solches Zuckerzeug, sondern auch das Etikett deutscher Bürokratiehengst klebt doch
hartnäckig an einem.
Immerhin war ich nicht allein –
ich bin gerade dabei, meinem Verdacht nachzugehen, dass der Rechtsanwalt auch
keine Ferrero Küsschen mochte. Insofern darf Columbo hier einen doppelten Fall
von Bestechungsabwehr in Betracht
ziehen.
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