f Psychogeplauder: Ferrero Küsschen

Mittwoch, 15. Januar 2014

Ferrero Küsschen




berufsrechtliche  Gefahren  bergendes  Päckchen


Es gibt Fälle, da versuchen sie, dich zu bestechen. Wenn du widerstehst, fühlst du dich hinterher trotzdem nicht immer wie ein aufrichtiger tapferer Krieger des Lichts; manchmal geht es dir sogar noch schlechter, als wenn du auf den deal
locker eingegangen wärst.
Sie kam aus einem Land hinter dem Bosporus, lebte seit über zehn Jahren hier, nachdem ihr Mann sich in der Heimat politisch zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Wie viele ihrer Landsleute war sie intelligent, im Gespräch sehr wach, hatte aber hier in Deutschland sich auf Heim und Herd zurückgezogen und vier Kinder erzogen, ihr Deutsch war anstrengend, mit wenigen einfachen Worten komponiert, unterbrochen von häufigem Lächeln. Ihr Ehemann hatte mit einem mobilen Schlüsseldienst eine beachtliche materielle Existenz aufgebaut. Fünf Jahre, bevor ich sie kennenlernte, hatte sie sich auf einer der Fahrten mit dem rollenden Handwerkerparadies, bei denen sie gelegentlich ihren Mann begleitete, einen komplizierten Beinbruch zugezogen, nachdem sich die Anhängerkupplung gelöst und dies einen Unfall nach sich gezogen hatte. Ihre Mutter war aus der Heimat eingeflogen, um sich vorübergehend um die teilweise noch kindergartenpflichtigen Kinder zu kümmern. Aus diesem verwandtschaftlichen Notfalleinsatz war dann ein fünfjähriger Aufenthalt geworden, und weder Mutter noch Tochter wollten, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehrt, wo sie zwar eine Eigentumswohnung hatte und mehrere weitere ihrer Kinder lebten, wo sie aber sich mittlerweile fremd fühlen würde. Außerdem seien sie dort nicht mehr gut auf die Mutter zu sprechen, da sie für die dort anfallende Kinderbetreuung ausgefallen war.
Die Eingangsszene machte mich skeptisch, denn sie zerrte als erstes, nachdem sie sich gesetzt hatte, einen Leitzordner aus ihrer mitgebrachten Tragetasche und legte ihn auf den kleinen Tisch zwischen uns. Sie schilderte klagend ihre Beschwerden, nämlich dass sie nicht einschlafen könne und tagsüber dann oft so müde sei, kraftlos, und das schon seit Jahren. Auffallend war, dass sie noch nie deswegen eine Behandlung gemacht hatte, und der in mir erwachte Columbo vermutete, dann könne es ja wohl bisher nicht so schlimm gewesen sein. Jetzt kam der Ordner ins Spiel: sie zeigte mir einen mehrjährig sich hinziehenden Schriftwechsel zwischen ihrem Anwalt und den deutschen Behörden, in dem es um die Ausweisung der illegal hier lebenden Mutter ging. Es müsse dringend etwas geschrieben werden, damit den Behörden klar werde, dass ihre Mutter hier einspringen müsse, da sie selbst zu krank sei, um ihre Familie zu versorgen. Das habe jedenfalls die Hausärztin gesagt und ihr dringend empfohlen, zu mir zu kommen. Ich stiess innerlich einen Fluch über die Hausärztin aus und hörte weiter zu. Es wurde klar, dass ich hier nicht als Psychotherapeut, sondern als Depp gefragt war. Ihre Beschwerden schienen mir dennoch glaubhaft und ich beschloss, ihr einerseits klar zu machen, dass es ein Attest nach ihren Wünschen nicht geben könne, dass ich aber ihr gerne Gespräche anböte, wenn sie das wolle. Sie war enttäuscht, blieb aber freundlich. In den nächsten Wochen taute sie auf, berichtete, dass es ihr eigentlich zu langweilig sei und sie vermute, dass sie deswegen nicht schlafe, weil sie nachts gar nicht müde sei. Ihre Mutter koche, die Kinder seien sehr selbständig, ihr Mann arbeite und kümmere sich um den Schriftkram mit dem Anwalt. Nachdem sie immer mehr Vertrauen gefasst hatte, erzählte sie mir eines Tages, dass sie eigentlich gerne arbeiten würde, zum Beispiel halbtags in einer Kinder-Boutique, das würde ihr Freude machen. Sehen sie, sagte ich dann in solchen Momenten, ich kann doch nicht schreiben, dass sie schwer krank sind, und zugleich würden sie gerne arbeiten. Aber sie fragte immer wieder nach, ob ich nicht doch … ein Attest …., so etwa in Vier-Wochen-Abständen, meistens mit hartnäckigem Hinweis auf ablaufende Fristen, die aus mir unerfindlichen Gründen aber nie von den Behörden eingehalten wurden. Ich wiederholte dann immer tapfer, wenngleich mit zunehmend schlechtem Gewissen, meinen Kurzvortrag über die Ausstellung unrichtiger Bescheinigungen. Ich vergaloppierte mich in immer neuen dramaturgisch aufpolierten Begründungen, sprach in meiner Not sogar von Berufsverbot, was mir drohen könne. Sie bekam in solchen Momenten wagenradgroße Augen, blieb orientalisch-höflich und diffus, bedauerte mein soeben heraufbeschworenes berufliches Dilemma, um dann aber am Ende meiner Ausführungen dann doch noch einmal zu fragen, könnten sie nicht doch …. eine kurze Bescheinigung… Ich liess mich sogar zu einem Telefonat mit einem ausserordentlich netten Rechtsanwalt überreden und als ich ihm sagte, das mit dem Attest ginge leider nicht, schien er zu meiner Verwunderung keinerlei juristischen Kampfeswillen zu entwickeln, sondern wirkte sogar erleichtert.
Die Sache mit dem Kinderklamotten-Verkaufen war natürlich ein Fortschritt, denn sie litt darunter, dass das Ego ihres Mannes es nicht zuliess, dass sie selbst sich aktiver ins Leben warf, und all ihre Bekannten in ihrem konservativen Umfeld hätten darüber gemunkelt. Aber ehrlich gesagt war diese Verkäuferinnenangelegenheit auch eine columbomäßig geschickt aufgestellte Falle gewesen zur endgültigen Klärung, ob ich ihr unrecht tue und eine schwere Krankheit übersähe.
Dann kam Weihnachten. Sie kam zum Termin und überreichte mir gleich zu Beginn feierlich und nicht ohne Stolz einen über-dimensionierten, goldfarben glänzenden Karton mit brauner Riesenschleife. Ich war überrascht, die aufgepimpte Verpackung passte so gar nicht zu ihr. Ich durchkämmte in Gedanken die Berufsordnung und überlegte kurz, ob ich das repräsentative Geschenk annehmen könne. Danach stellte ich das etwas groß geratene, protzige Paket auf den kleinen Tisch, genau dorthin, wo vier Monate zuvor der Aktenordner erstmals Platz erhalten hatte. Ab diesem Zeitpunkt stand es auch irgendwie zwischen uns. Am Ende der Sitzung kam ihre Frage: messerscharf abgezirkelt, eine Minute vor Stundenende, wie ein Beil in die schon wabernde Feststimmung: ob ich ihr nicht doch, spätestens bis Mitte Januar … ein Attest  …. ich blieb eisern, was mich ungeheuer anstrengte, und ich ahnte, das war jetzt sehr ungünstig. Die nächste Stunde sagte sie ab wegen Kopfweh. Danach ist sie nie mehr gekommen.
Nach unserem Gespräch packte ich das Ungetüm aus. Es enthielt eine Riesenmenge Ferrero Küsschen  Pralinen. So einen ausufernden Schokoberg habe ich noch nie gesehen. Vermutlich gibt es ja diese Packungsgröße nur im arabischen Raum – vielleicht in den dortigen duty free shops.
Ich mag keine Ferrero Küsschen. Jedes einzelne Küsschen ist   so akkurat eingewickelt, als wäre es Träger eines wichtigen Briefgeheimnisses. Das Kauen macht Arbeit wegen der großen Nussstücke. Und danach, wenn man erschöpft das Auswickeln und Kauen hinter sich gebracht hat, hängen einem massenweise zerkleinerte Nussstückchen zwischen den Zähnen.
Hoffentlich habe ich dir jetzt glaubhaft dargelegt, dass ich kein einziges Küsschen gegessen habe. Das zur Ehrenrettung. Doch nicht nur solches Zuckerzeug, sondern auch das Etikett deutscher Bürokratiehengst klebt doch hartnäckig an einem.
Immerhin war ich nicht allein – ich bin gerade dabei, meinem Verdacht nachzugehen, dass der Rechtsanwalt auch keine Ferrero Küsschen mochte. Insofern darf Columbo hier einen doppelten Fall von Bestechungsabwehr  in Betracht ziehen.












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