f Psychogeplauder: Rotlichtverstoß

Donnerstag, 27. Februar 2014

Rotlichtverstoß





Als Werner sich anmeldete, war ich ganz froh, mal wieder einen männlichen Patienten in Aussicht zu haben. Auch als Therapeutin sehnst du dich gelegentlich nach Abwechslung,

denn hauptamtlich klimakterische (vielleicht sind es bei mir ja die Hormone) oder kurz vorm Schulabschluss stehende (gucken sie mal, was mir Isi gesimst hat, nachdem ich Anna gesimst hatte, dass ich den Freund von Giggi endmadig finde) Vertreterinnen der Weiblichkeit können zuweilen etwas ermüdend sein. Also freute ich mich, zumal er bei der telefonischen Anmeldung, wie alle Sachsen, akustisch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, wo seine Heimat war. Ich stehe auf Sachsen, die denken so klar, sagen, was Sache ist, und machen nicht lange rum. Männliche Sachsen sind sozusagen die ultimative Steigerung dieser Eigenschaften, und Werner machte ihnen alle Ehre. Wenn ich ihm etwas sagte, dann gab es nach kurzem, aber ehrlichem Männer-Nachdenken drei mögliche Rückmeldungsoptionen von seiner Seite: „Da geh´ ich mit“, „da geh´ ich teilweise mit“, oder „da geh´ ich jetzt nicht mit“. Diese glasklare Art, einen zu wissen lassen, woran man ist, kommt vermutlich aus einem Kartenspiel, das ich nicht weiter kenne. Werner war von seiner Ex finanziell und rivalenmäßig übel über den Tisch gezogen worden, daraufhin hatte er sich auf totales Engagement in seinem technischen Beruf verlegt, war immer einsamer geworden und musste schliesslich sogar stationär behandelt werden wegen einer Depression mit Nullbocksymptomatik.
Hier hatte er eine neue Heimat finden wollen, hangelte sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, er war kein gesuchter Mann mehr, seinen hochspezialisierten Beruf konnte man im Westen nicht so gut brauchen. Aber er nahm es gelassen, ging mit mir seine Horrorerfahrungen aus seiner Kindheit durch, bepflanzte zum ersten Mal im Leben einen Zweiquadratmeter-Balkon und vergrößerte zunehmend seine aktuellen, wenngleich platonisch bleibenden Kontakte. Er war ein beliebter Gast auf Einladungen aller Art, zumal er als Geschenk, das ihn wenig kostete, immer selbstgemachten Yoghurt mitbrachte und damit eine Marktlücke erkannt hatte, die er akribisch pflegte. Die einzige Vertrauensperson, die Bescheid wusste, dass er im Dienste seiner stets gelungenen Partyauftritte einfachste Kulturen aus einem e-shop benutzte, die nicht einmal „bio“ waren, war ich. Yoghurt hin, Yoghurt her, über seine Männlichkeit konnte man sich besorgt beginnen Gedanken zu machen. Frauen in seiner Umgebung waren entweder sozialpsychiatrische Dauernotfälle, mit denen er dauernd reden musste, oder sie quälten ihn damit, dass sie ihn als guten Freund auf keinen Fall verlieren, aber „zur Zeit noch“ keinen Sex mit ihm wollten, weil sie noch an ihren Verflossenen hingen. Werner wurde zunehmend verunsichert. So war ich einerseits erleichtert, andererseits etwas unangenehm berührt über den sich androhenden Wechsel unserer Gesprächsthemen, als er mir eines Tages betreten eröffnete, heute gehe es um einen Rotlichtverstoß. Naja, dachte ich, mitgehangen, mitgefangen, wenn Du Männer behandelst, musst Du halt auch gelegentlich durchs Bordellsegment gehen. Werner erzählte, er hätte es gar nicht kommen sehen; er sei eigentlich in solchen Sachen nüchtern und vernünftig. Ob ich die belebte Bundesstrasse kenne, die ortsauswärts am Nagelstudio vorbeiführe … er sei schliesslich irgendwie hineingeschlittert, einfach kopflos. Er schäme sich auch deswegen, denn bisher hatte er sowas noch nie nötig. 90 Euro habe man ihm für das Ganze abgeknöpft. Aber sie hätten ihn erwischt, obwohl es doch eine Toleranzgrenze gebe. Spaß habe das wirklich nicht gemacht, seine Karre klappere bei höheren Drehzahlen und er sei sowieso nicht ganz bei der Sache gewesen, weil er noch neue Yoghurtkulturen ansetzen musste.


Und jetzt habe er diesen doofen Bußgeldbescheid, weil er einmal über eine rote Ampel gefahren sei. 

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