Als Werner sich anmeldete, war ich ganz froh, mal wieder einen männlichen Patienten in Aussicht zu haben. Auch als Therapeutin sehnst du dich gelegentlich nach Abwechslung,
denn hauptamtlich
klimakterische (vielleicht sind es bei
mir ja die Hormone) oder kurz vorm Schulabschluss stehende (gucken sie mal, was mir Isi gesimst hat,
nachdem ich Anna gesimst hatte, dass ich den Freund von Giggi endmadig finde) Vertreterinnen
der Weiblichkeit können zuweilen etwas ermüdend sein. Also freute ich mich,
zumal er bei der telefonischen Anmeldung, wie alle Sachsen, akustisch nicht
darüber hinwegtäuschen konnte, wo seine Heimat war. Ich stehe auf Sachsen, die
denken so klar, sagen, was Sache ist, und machen nicht lange rum. Männliche
Sachsen sind sozusagen die ultimative Steigerung dieser Eigenschaften, und Werner
machte ihnen alle Ehre. Wenn ich ihm etwas sagte, dann gab es nach kurzem, aber
ehrlichem Männer-Nachdenken drei mögliche Rückmeldungsoptionen von seiner Seite:
„Da geh´ ich mit“, „da geh´ ich teilweise mit“, oder „da geh´ ich jetzt nicht
mit“. Diese glasklare Art, einen zu wissen lassen, woran man ist, kommt
vermutlich aus einem Kartenspiel, das ich nicht weiter kenne. Werner war von
seiner Ex finanziell und rivalenmäßig übel über den Tisch gezogen worden,
daraufhin hatte er sich auf totales Engagement in seinem technischen Beruf
verlegt, war immer einsamer geworden und musste schliesslich sogar stationär
behandelt werden wegen einer Depression mit Nullbocksymptomatik.
Hier hatte er eine neue Heimat finden wollen,
hangelte sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, er war kein gesuchter Mann mehr,
seinen hochspezialisierten Beruf konnte man im Westen nicht so gut brauchen.
Aber er nahm es gelassen, ging mit mir seine Horrorerfahrungen aus seiner
Kindheit durch, bepflanzte zum ersten Mal im Leben einen
Zweiquadratmeter-Balkon und vergrößerte zunehmend seine aktuellen, wenngleich
platonisch bleibenden Kontakte. Er war ein beliebter Gast auf Einladungen aller
Art, zumal er als Geschenk, das ihn wenig kostete, immer selbstgemachten
Yoghurt mitbrachte und damit eine Marktlücke erkannt hatte, die er akribisch
pflegte. Die einzige Vertrauensperson, die Bescheid wusste, dass er im Dienste
seiner stets gelungenen Partyauftritte einfachste Kulturen aus einem e-shop benutzte,
die nicht einmal „bio“ waren, war ich. Yoghurt hin, Yoghurt her, über seine
Männlichkeit konnte man sich besorgt beginnen Gedanken zu machen. Frauen in
seiner Umgebung waren entweder sozialpsychiatrische Dauernotfälle, mit denen er
dauernd reden musste, oder sie quälten ihn damit, dass sie ihn als guten Freund
auf keinen Fall verlieren, aber „zur Zeit noch“ keinen Sex mit ihm wollten,
weil sie noch an ihren Verflossenen hingen. Werner wurde zunehmend verunsichert.
So war ich einerseits erleichtert, andererseits etwas unangenehm berührt über
den sich androhenden Wechsel unserer Gesprächsthemen, als er mir eines Tages betreten
eröffnete, heute gehe es um einen Rotlichtverstoß. Naja, dachte ich,
mitgehangen, mitgefangen, wenn Du Männer behandelst, musst Du halt auch
gelegentlich durchs Bordellsegment gehen. Werner erzählte, er hätte es gar
nicht kommen sehen; er sei eigentlich in solchen Sachen nüchtern und vernünftig.
Ob ich die belebte Bundesstrasse kenne, die ortsauswärts am Nagelstudio
vorbeiführe … er sei schliesslich irgendwie hineingeschlittert, einfach kopflos.
Er schäme sich auch deswegen, denn bisher hatte er sowas noch nie nötig. 90
Euro habe man ihm für das Ganze abgeknöpft. Aber sie hätten ihn erwischt,
obwohl es doch eine Toleranzgrenze gebe. Spaß habe das wirklich nicht gemacht,
seine Karre klappere bei höheren Drehzahlen und er sei sowieso nicht ganz bei
der Sache gewesen, weil er noch neue Yoghurtkulturen ansetzen musste.
Und jetzt habe er diesen doofen Bußgeldbescheid,
weil er einmal über eine rote Ampel
gefahren sei.
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