f Psychogeplauder: Mogelpackung

Donnerstag, 6. März 2014

Mogelpackung






Sie war mit den Jahren sehr erfolgreich geworden. Eine ausgesprochen liebenswerte, kontaktfreudige Unter-nehmerin. Obwohl es einige Konkurrenzunternehmen gab, die sich noch in alter Manier Kosmetikstudio La belle oder Linda´s Kosmetik-Ecke
nannten, war sie mit ihrem immer mehr expandierten, bereits zweimal in repräsentativere Räumlichkeiten umgezogenen Zentrum für Wellness und Anti-Aging zur lokalen Marktführerin aufgestiegen. Zu ihr gingen die, die sich zum Kreis der Durchblicker zählen durften. Auch sie selbst gehörte längst zur Haute volée unserer Kreisstadt, du kennst diese Veranstaltungen, bei denen zu Beginn Sekt getrunken und im Verlauf netzwerkend geredet wird, dort war sie meistens anzutreffen, strahlend. Sie aß und trank zuviel, was man ihr aber dank der Errungenschaften von Estée Lauder und anderen, mehr im dreistelligen Euro-Bereich angesiedelten Kosmetikwundern sowie aufgrund ihres handwerklichen, auf solider Ausbildung beruhenden Könnens noch nicht ansah. 



Sie kam wegen Schlafstörungen, ständigen Magendrückens und wahrscheinlich auch, weil ihr behandelnder Internist genug von den wiederholt eingeforderten Untersuchungen hatte, die jedes Mal „nichts“ ergaben. Aber natürlich hatte sie was. Sie war dem Gedanken, dass es mit der Psyche zu tun haben könnte, durchaus aufgeschlossen gegen-überstehend. Schliesslich war ihr Zentrum auf ganzheitliche Sichtweisen und Einklang zwischen Körper und Seele ausgerichtet. Man konnte es auf ihrer website lesen: Lassen Sie die Last des Alltags hinter sich, die durch unsere heutige materiell orientierte Welt und die Atemlosigkeit der modernen Zivilisation oft zu Spannungen und Stress führt. Durch gezielte individuell zugeschnittene Wellness– und Beauty-Programme unter Einbeziehung sanfter Spiritualität, Farben, Klängen und Düften erlangen Sie ihr Gleichgewicht, erleben einen Jungbrunnen und tanken Selbstbewusstsein und neue Energie !  



Sie hatte vor, sich von ihrem Mann zu trennen, der sie jahrelang mit nörgelnden Bemerkungen unterdrückt und insbesondere durch Kritik an ihrem Äußeren, ihrer Kleiderwahl und ihrem Gewicht herabgewürdigt hatte. Aha, dachte ich, dieser wenig sympathische Herr scheint ihr auf den Magen zu schlagen ! Nachdem sie trotz ihrer Ängste die Trennung geschafft hatte, wunderte ich mich, dass zwar der Mann weg war, nicht aber ihre Beschwerden. Da hatte ich wohl zu kästchenmäßig gedacht. Ich beschloss, mich nicht mehr für ihren Nörgelmann, sondern für ihre Arbeit zu interessieren. 

Ihr Kundinnen teilte sie ein in Schnelldurchläufer und Packungen. Die Schnelldurchläufer waren meistens in den klassischen einkommensstarken Berufen tätig, zahlten und gingen, nicht interessiert an längerem Verkaufsgequassel und abonniert auf immer dieselbe Behandlung, sie machten keinen Ärger durch Ansprüche oder enttäuschte Reklamationen, insofern eine zwar gerngesehene Stammklientel, die allerdings nicht soviel Gewinn abwarf wie die zweite Gruppe, die eindeutig ihr Liebling war. Packungen verweilten in der Regel mehrere Stunden, es waren die immer häufiger anzutreffenden getriebenen Jugendlichkeitsjunkies, „offen“, wie sie das nannte, für Produktneuheiten, bodyfirming- und Sauna-Abonnements, finanziell lukrativ, aber nicht weniger interessant deswegen, weil die Packungen während der Einwirkzeit der einschlägigen Gesichts- und Körpersolutions ihr ca 20- minütige Pausen erlaubten; während dieser Zeit wurden die Packungen mit orangefarbenem Lebensfreudelicht und indischen Klängen beseelt, wohingegen unser magenkrankes Sorgenkind wichtige Dinge erledigen konnte. Zu diesem Zweck verzog sie sich in die kleinformatige Teeküche, weil dies der einzige Raum war, in dem sie, ohne gehört zu werden, telefonieren konnte. Meistens mussten Fakten mit dem Steuerberater abgecheckt und lautstarke Wortgefechte mit dem Ex wegen der Unterhaltszahlungen an den gemeinsamen Sohn abgearbeitet werden. Zwischendurch bediente sie vorne im Laden, wenn jemand aus der Laufkundschaft (die sie die Läufer nannte) eine besonders hübsche mit Halbedelsteinen besetzte Handyhülle oder eine relax-and-joy-Körpermassagecreme erstand, sie verschwand danach aber nochmals in der Teeküche, um rasch noch einen Arzttermin wegen ihres Sodbrennens zu vereinbaren. In der Regel war es gerade noch drin, einen Espresso hinunterzustürzen, um wieder Energie zu tanken, für einen raschen Toilettengang reichte ihr dann allerdings die Zeit nicht mehr, so dass sie häufig zwischen beiden Optionen eine Wahl treffen musste, bevor die im Rahmen der kosmetischen Fettschlacht schwitzende Packung unruhig zu werden drohte. Meinen Vorschlägen, etwas weniger zu arbeiten, vielleicht nicht täglich neun Stunden von Kabine zu Kabine zu hetzen wie jene wenigstens dafür überbezahlten Zahnärzte in Großstadtzentren, und eventuell das eine oder andere zu delegieren, konnte sie sich nicht so recht anschliessen, dann würde sie Kunden verlieren, und ihre Angestellten, die sie finanziell knapp hielt, würden ihrer vermutlich korrekten Vermutung nach nicht noch mehr arbeiten wollen, ohne zu rebellieren. 

Die Magenbeschwerden waren gar nicht so leicht zu besiegen. Ihre auf maximal fünf Arbeitstage veranschlagten Urlaube pflegte sie entweder in Dubai oder amerikanischen Metropolen zu verbringen, wo sie mit Freundinnen hinjettete, um zu shoppen. Das letzte, was ich von ihr hörte, war der an den noch immer genervten Internisten herangetragene Wunsch nach Beantragung einer „Kur“ bei der Krankenkasse, gerne mit Entspannungstherapie und Massagen angereichert, denn sie müsse mal raus. Ich beurteilte das Ansinnen weniger genial als sie. Ich finde, regelmäßig ein bisschen wellness und ganzheitliche Sichtweisen hätten es auch getan.

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